☛ Architektin

 
Die Architektin ist fasziniert vom Arnaldo Ronca, dem Architekten des Eurotels, sieht gelungene Aufwertung und das Verschmelzen von historischer und zeitgenössischer Architektur auch im Steinachviertel und liebt die Einsicht in die Geschichte der Stadt, die insbesondere der jüdische und evangelische Friedhof den Betrachtern bieten.
Wann begann die Moderne in Südtirols Architektur Fuß zu fassen? Und wann genau in Meran?

Die Ideen in den Jahren des ausgehenden Historismus und des Aufbruchs zu grundlegenden Änderungen und Neuem sind in den Bauten, die vor dem Ersten Weltkrieg entstanden, in Südtirol wenig oder kaum vorhanden. Erst in den 1920er-Jahren begann die Moderne in Südtirol Fuß zu fassen. Dazu gehören etwa die Villa Settari von Lois Welzenbacher, der Gasthof Briol von Hubert Lanzinger, beide Gebäude in Dreikirchen gelegen, oder auch das Hotel Monte Rosa am Sellapass von Ivo von Tschurtschenthaler. Zu dieser Architektursprache zählen in Meran die Villa Duse oder das Haus Diesbacher in der Maiastraße, einzelne Gebäude in der Galileistraße und in der Alfieristraße, die alle im Laufe der 1930er-Jahre gebaut wurden. Nicht zu vergessen sind die Gebäude und Anlagen, die in Meran im Stile des italienischen Rationalismus entstanden sind, wie etwa die ehemalige „Casa del Fascio“ oder die Anlage des Pferderennplatzes in der Gampen- und Enrico-Toti-Straße. Die Architektur aus den 1920er- und 1930er- Jahren ist hervorragend dokumentiert in dem kürzlich erschienenen Buch „Less is more, Meraner Moderne, 1920-1940“.
Ist Meran zeitgenössischer Architektur gegenüber aufgeschlossen?

Wie in anderen Gemeinden Südtirols sind in Meran zahlreiche Gebäude in zeitgenössischer Architektur zu finden, wenn man den Zeitraum der letzten drei Jahrzehnte betrachtet. Dazu gehören Schulbauten, Wohnhäuser und Hotelbetriebe, die ebenso in der Fachliteratur beschrieben sind. Zu erwähnen sind etwa die Pfarrplatzpassage, das Haus für Veranstaltungen bei der Untermaiser Kirche, die Gebäude der Thermenanlage, das Pflege- und Seniorenheim St. Josef und zahlreiche private Wohnhäuser in den verschiedenen Stadtvierteln.


Gibt es gelungene Beispiele, wo Historisches mit Zeitgenössischem in Meraner Architektur vereint wurde?

Beispiele, wo Historisches auf Zeitgenössisches trifft, sind insbesondere in der Laubengasse und im Steinachviertel zu finden. Zu nennen sind der Umbau eines Laubenhauses für den Verein Kunst Meran oder ein Geschäfts- und Hotelbau in den oberen Berglauben, bei dem auch eine Passage neu gestaltet wurde. Ebenso sehenswert sind Gebäude im Steinachviertel, insbesondere in der Hallergasse, wo das Viertel durch Sanierungen und Erweiterungen eine große Aufwertung erfahren hat.


Gibt es auch das Gegenteil davon? Beispielsweise eine Meraner Bausünde, die Ihnen gegen den (ästhetischen) Strich geht?

Einzelne Gebäude möchte ich nicht erwähnen, sondern stattdessen das Thema der Stadtplanung ansprechen. Die vorbildliche Stadtplanung Merans aus den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg wurde bedauerlicherweise nach 1945 nicht fortgeführt: Stadtgestalt und Stadtbaukunst, die das vielschichtige Stadtbild eines vornehmen Kurortes hervorgebracht hatten, waren in den Nachkriegsjahrzehnten kein vordringliches Thema mehr. Dies ist in vielen Bereichen ablesbar, gerade dort, wo nach 1945 in Abwesenheit von Stadtplanung großflächig gebaut wurde.


Über die Publikation rund um das Eurotel, das 1959 eröffnet wurde, Teil einer großen Kette war (zwischen den 1950er und den 1980er wurden rund 85 dieser Eurotels in Europa gebaut) und von Armando Ronca gebaut wurde, deren Mitherausgeberin Sie sind, kamen Sie und Andreas Kofler dazu, auch eine Ausstellung über die Arbeiten von Armando Ronca zu kuratieren. Was fasziniert so am Eurohotel?

Es sind die Architektur und gleichzeitig die Geschäftsidee, die bei dem „Projekt Eurotel“ faszinieren. In seiner Planungsphase noch in direkter Nachbarschaft zum Grandhotel Meranerhof und der Anglikanischen Kirche gelegen, richtete sich das Augenmerk für das Pilotprojekt dieses neuen Hoteltyps auf die Einpassung in den räumlichen Kontext und die Gestaltung einer repräsentativen, einprägsamen Fassade. Dies gelingt Armando Ronca, dem Planer dieses Gebäudes, indem er die Kombination zweier Baukörper vorsieht, die nach Norden die Straßenflucht der Thermenallee und nach Westen mit einer großen Geste die Krümmung der Garibaldistraße aufnehmen. Die Hauptansichten sind plastisch gegliedert, die Geschossdecken und die vertikalen Bänder rhythmisieren die Fassaden.


Würden Sie uns ein wenig vom Weg, den das Eurotel in den Jahrzehnten genommen hat, erzählen?

Das Eurotel in der Meraner Garibaldistraße gilt nicht nur als eines der Hauptwerke von Armando Ronca, mit diesem Gebäude wurde 1959 erstmals das Konzept für eine neue Form der Hotellerie verwirklicht. Das Eurotel-System verbindet das Prinzip des Hotels mit dem der Eigentumswohnung. Die Idee dieses Hoteltyps entwickelte Armando Ronca zusammen mit der Bozner Bauunternehmerfamilie Vanzo, als erster Standort dieses Konzepts wurde Meran ausgewählt. Nach dessen Eröffnung 1959 folgt eine Reihe von weiteren Bauten nach Meraner Vorbild, die Eurotels befinden sich nicht nur in Italien, sondern auch in Deutschland, in der Schweiz, in Österreich, Belgien, Spanien und in den Niederlanden. Über zwei Jahrzehnte läuft dieses Geschäftsmodell erfolgreich. Hoher Verwaltungsaufwand, sinkende Nachfrage oder auch finanzielle Probleme führen dazu, dass ab Ende der 1980er-Jahre eine Umwandlung in Privatwohnungen (wie in Meran) oder in herkömmliche Hotels erfolgt. So sind vom ursprünglichen Inventar von 36 Eurotels heute zwei Drittel 3- oder 4-Sternehotels.
Thema Ensembleschutz: Ist das ein wichtiges Thema für Meran? Wenn ja, warum?

Meran hat im Laufe des 19. Jahrhunderts, beim Werden der Kurstadt, Stadterweiterungen geplant, die mit zeitgemäßen Gebäuden, vornehmlich Hotels und Villen mit parkähnlichen Gärten, bebaut wurden. Meran erlangt als Kurstadt der Monarchie Weltruf und erhält ein Stadtbild, das bis heute prägend bleibt. Diese wertvolle Stadtstruktur gilt es zu erhalten, ein wichtiges Instrument dazu ist der Ensembleschutz. Und hier ist Meran gut aufgestellt: Es gibt insgesamt 41 Ensembleschutzzonen, die insbesondere den Bestand der Gebäude aus der Zeit der Kurstadt vor dem Ersten Weltkrieg betreffen. Aber es gibt auch Anlagen aus den 1920er-/30er-Jahren, die unter Ensembleschutz stehen. Bisher fehlen die Gebäude aus den 1950er-/1960er-Jahren in den Ensembleschutzplänen, die bei der nächsten Überarbeitung berücksichtigt werden sollten.


Nennen Sie uns ein, zwei Lieblingsbauten in Meran, die Ihrer Meinung nach völlig unterschätzt werden, bzw. die selten im Rampenlicht stehen?

Anstelle von einzelnen Gebäuden möchte ich die (öffentlichen und privaten) Grünanlagen mit dem hohen, historischen und zum Teil exotischen Baumbestand nennen, mit dem sich Meran gegenüber anderen Orten in Südtirol auszeichnet. Besondere Orte in Meran sind für mich die Friedhofsanlagen. Es sind nicht nur hervorragend gestaltete Anlagen, sondern auch historische Zeugnisse für die einstige Kurstadt von Weltruf. Insbesondere der evangelische und jüdische Friedhof geben einen Einblick in die Geschichte Merans.


Geboren 1956 in Rennerod (D), arbeitet Magdalene Schmidt seit 1989 als Architektin in Meran. Neben ihrer Haupttätigkeit beschäftigt sie sich mit architekturtheoretischen und städtebaulichen Themen und erstellt Projekte im urbanistischen, bzw. stadtgeschichtlichen Bereich. Vorträge, Führungen und Ausstellungen, Mitarbeit und zahlreiche Beiträge in Publikationen und Büchern zum Thema Architektur und Baugeschehen in Meran.


August 2024