☛ Schriftsteller

 
1955 in Graun geboren, seit 1992 in Meran. Gründungsmitglied der SAV (Südtiroler Autorenvereinigung) Mitglied der IG Autorinnen Autoren. Autor von Prosa, Lyrik, Hörspielen, zeitweise als Übersetzer von Literatur aus dem Italienischen tätig. Seine Romane erschienen teilweise im Italienischen und einige Gedichte wurden ins Tschechische und Bulgarische übersetzt. An Meran liebt er das „gemäßigte Urbane“, das Überschaubare im Vergleich zur Großstadt, das mehr an Infrastruktur und kulturellem Angebot im Vergleich zum Dorf.
Sie sind in Graun im Vinschgau geboren und in einer Bauernfamilie aufgewachsen. Einige Eindrücke, die Sie bis heute begleiten?

Eindrücke der Kindheit begleiten wohl die meisten von uns ein Leben lang. Das nächtliche Lesen unter der Bettdecke in meiner Schlafkammer, die ich mit einem Bruder teilte, gehört dazu, die winterliche Wärme unserer Stube mit dem Duft von gesponnener Wolle und Bratäpfeln, die Bewegung der Kühe und Schafe im Stall und auf den Weiden, der grandiose Blick auf den See – aber auch die harte Arbeit eines Bauernlebens, in das ich wie alle Kinder früh eingebunden war.


Wie lesen Sie? Nach Autorinnen und Autoren? Themen? Epochen? Zeitgeschichte? Ländern? Neuerscheinungen?

Ich bin eine Art Querfeldeinleser ohne bestimmtes Konzept. Mit Vorliebe für Neuerscheinungen. Man will ja auch wissen, was die Schriftstellerkolleginnen und Freunde aus Österreich oder Deutschland so treiben. Belletristik, klar, keine Krimis oder Fantasy... Und: Ich lese auch Lyrik. Und daneben vor allem Zeitungen, um über aktuelle Entwicklungen und Diskussionen auf dem Laufenden zu sein.


Gibt es Romane, von denen Sie mehr über Geschichte gelernt haben als über Sachbücher zum Thema? Wenn ja, welche?

Wenn wir das Wort „gelernt“, das mir zu sehr ins Kognitive geht, mit „erfühlt“ oder „verstanden“ ersetzen, dann ja. Dann gibt es unendlich viele. Von Bulgakows „Der Meister und Margarita“ über „Die Blechtrommel“ von Günter Grass bis zu Kunderas „Der Scherz“, um nur einige zu nennen, die mir auf die Schnelle einfallen. Aber natürlich sind mir historisch-wissenschaftliche Untersuchungen auch wichtig, oft sind sie Grundlagen für mein eigenes Schreiben.


Zwischen Veröffentlichung von „Berliner Zimmer“ (2012) und dessen Veröffentlichung in Italienisch liegen zehn Jahre. Trotz der umgreifenden Veränderungen in der Welt für Sie kein wirkliches Problem, da Sie, wie Sie sagen, zum einen langsam schreiben und zum anderen auf die aktuellen News nicht in der Form eingehen, als dass sie Jahre später bereits verjährt wären …

Natürlich interessiert mich die Gegenwart, als Mensch, als Bürger. Die Weltnachrichten sind sozusagen mein täglich Brot. Aber als Schriftsteller brauche ich so etwas wie Distanz, die oft eine zeitliche ist. Distanz, die mich vielleicht die Dinge klarer sehen lässt. Aber nicht selten kommt es vor, dass Schreiben über Vergangenes dann doch ein Spiegel der Gegenwart wird… Und die Langsamkeit beim Schreiben ist wohl weniger Programm als meinem Obervinschgauer Phlegma geschuldet.


Sie sagten, “Das Mitleid mit diesen Kindern war die größte Motivation“, bezogen auf die Geschichte des behinderten Jungen in Ein Hund kam in die Küche. Gibt es geschichtliche oder aktuelle Grausamkeiten, über die Sie nicht schreiben könnten? Wenn ja, warum nicht? Über Grausamkeiten schreiben?

Naja, grundsätzlich kann ich über alles schreiben, das hängt immer vom Blickwinkel ab, von der Perspektive, die man wählt, vom „Wie“, auch sprachlich. Das ist das Entscheidende, nicht das Thema. In „Ein Hund kam in die Küche“ ist die Perspektive des „unbeteiligten“ Kindes das Entscheidende, einige der Grausamkeiten der NS-Zeit werden auf diese Weise nur angedeutet, es wird sozusagen ein kleines Fenster geöffnet, damit man hinsehen kann, wenn man will.


Tiere spielen in Ein Hund kam in die Küche eine Rolle. Aber auch in etlichen Gedichten. Was macht sie als Metapher so attraktiv?

Dass im Roman so viele Tiere vorkommen, hat in erster Linie mit dem kindlichen Blick des Erzählers zu tun, mit der Faszination des Jungen und seines behinderten Bruders für Tiere. Der Kleine sagt ja von sich, dass er eigentlich ein Eichhörnchen ist, aber ein reinrassiges. Und ja, man kann das, was mit den Tieren passiert, natürlich auch unter einer metaphorischen Perspektive sehen. Man kann, muss aber nicht, sie sind ja gleichzeitig reale Figuren in der Geschichte – vielleicht macht diese Möglichkeit des Changierens die erwähnte Attraktivität aus.


Wie halten Sie es mit Tieren? Nah, fern, gar nicht?

In meiner Kindheit waren Tiere vor allem Nutztiere, die – auch wenn man gut zu ihnen war – einem utilitaristischen Zweck unterworfen waren. Tiere, die man großzieht, ihre Wolle, ihre Milch, ihre Zugkraft für sich nutzt und am Ende verkauft oder schlachtet. Heute sehe ich Tiere vermehrt unter einer ethischen Perspektive. Dass Tiere Gefühle haben und weit intelligenter sind, als die meisten von uns glauben, davon bin ich überzeugt.
Sie haben einige der Arbeiten von Kenka Lekovich, 1962 in Rijeka, Jugoslawien geboren, seit 1990 in Triest lebend, übersetzt. Was schätzen Sie an ihren Büchern?

Ach, Kenka Lekovich ist eine der verrücktesten Schriftstellerinnen, die ich kenne, im positiven Sinne gemeint. In ihren Texten stecken die ganzen Umwälzungen des letzten Jahrhunderts, vor allem die in Jugoslawien vor und nach dem Auseinanderbrechen des Staatsgebildes. Und es sind zudem hochartifizielle Texte - es war ein Vergnügen, eine vergnügte Anstrengung, sie für das Übersetzen zu entschlüsseln.


In Ihrem Gedicht „Leck mich“ gehen Sie mit Südtirol als touristischer Destination recht hart ins Gericht. Was könnte Südtirol besser machen, da es ein Urlaubsziel bleiben wird und will?

Mir ging es in dem Langgedicht vor allem darum, das Großkotzige, das wir uns mit der Zeit angeeignet haben und das auch in der Tourismuswerbung immer wieder zum Tragen kommt, zu zeigen. Etwas Bescheidenheit täte uns gut, auch als Gastgeber, und etwas weniger Gejammer, wenn das schlechte Wetter oder die Verkehrsverbindungen mal vermeintlich zu wenige Gäste anlocken. Und dass small beautiful ist, das gilt auch für den Tourismus in Südtirol, da bin ich mir ganz sicher. Auf gut Deutsch: Weniger ist mehr.


Sie widmen das Gedicht Georg Engl. Wer war er und wer war er für Sie?

Der „Schorsch“, wie er von seinen Freunden genannt wurde, war ein wichtiger Literatur-Initiator, ein Kulturmacher im besten Sinne und ein Autor, der in seinen Texten kritisch auf das Südtirol der 70er- und 80er-Jahre geblickt hat – ähnlich wie es mein „Leck mich“ für die heutige Zeit tut. Leider ist der Georg 2011 viel zu früh verstorben, mitten aus seiner Tätigkeit heraus. Ich war letzthin an seinem Grab auf dem Friedhof in Terenten und habe ihm gesagt, dass er ja so recht gehabt hat in Vielem.


Warum sind Gedichte von Ihnen ins Tschechische und Bulgarische übersetzt worden? Haben Sie einen besonderen Bezug zu diesen beiden Ländern?

Gar nicht, das sind eher zufällige Zusammenhänge, im Falle der Übersetzung ins Tschechische die persönliche Bekanntschaft mit David Voda, einem Unternehmer und homme des lettres aus Olomouc (Olmütz), dessen Frau aus Meran stammt. So hat sich die Übersetzung ergeben und es hat mich sehr gefreut, das Buch dann in Prag präsentieren zu können.


Wer sich für die Geschichte und Kultur Südtirols und die damit verbundenen Aspekte interessiert, welche Literatur würden Sie demjenigen oder derjenigen ans Herz legen?

Da gibt es eine ganze Reihe von Autorinnen und Autoren mit ihren Büchern, die man gelesen haben muss, vor allem wenn es um die letzten 70 Jahre geht. Angefangen von Claus Gatterers „Schöne Welt, böse Leut“ über die Gedichte von n.c. kaser oder Joseph Zoderers „Die Walsche“ bis zu den Zeitgenossen – Bücher von Sabine Gruber fallen mir ein oder von Josef Oberhollenzer, die genauso wie mein „Ein Hund kam in die Küche“ in den letzten Jahren für den Deutschen Buchpreis nominiert waren. Daneben gibt es aber noch viel mehr an Bemerkenswertem, das eine Entdeckung lohnt.


Letzthin haben sie den „Premio Meran/o Europa“ für Ihren Roman „Ein Hund kam in die Küche“ gewonnen. Macht das für Sie einen Unterschied zu anderen Preisen aus, wenn ein Literaturpreis in der eigenen Stadt vergeben und gewonnen wird, und wenn ja, welchen?

Ich bin erst dran, das richtig zu verstehen, aber ich glaube, das macht doch einen Unterschied aus – ganz egal, ob die Jury, die mich als Preisträger bestimmt hat, aus Meran stammt oder nicht. Die Ehrung, die mit dem Preis verbunden ist, hat eine stärkere Bedeutung für mich als die Ehrung in einer mir fremden Stadt. Mich bindet dieser Preis, scheint mir, doch mehr an den Ort, seine Bevölkerung und seine kulturellen Institutionen, als ich es üblicherweise empfinde, auch weil diese Preisvergabe dem Diktum vom „nemo propheta in patria“ so schön zuwiderläuft.


September 2024