☛ Deejay

 
Der Germanist und Kommunikationswissenschaftler (Universität Wien), 1968 in Meran geboren, ist seit den 1990er Jahren als DJ Veloziped unterwegs. Der langjährige Mitarbeiter des Projekts „Erschließung historischer Bibliotheken“ (EHB) arbeitete über 20 Jahre an der wissenschaftlichen Katalogisierung der Buchsammlungen von Klöstern, Museen und Pfarreien. An Meran mag er die Lebensqualität, doch ihm graut vor dem ewigen Spießertum.
Walter Garber, Sie haben gerade im Rahmen der Eröffnung der 60. Biennale Venedig auf der Giudecca als Teil der Künstlergruppe Nine Dragon Heads mit dem Projekt Nomadic Party aufgelegt. Wie war das Feeling dort?

Venedig hat immer eine besondere Atmosphäre, etwas Unwirkliches, Wunderschönes. Ich bin sehr dankbar, dass ich durch die Vermittlung des Künstlers Hannes Egger die Möglichkeit hatte, bei der Nomadic Party auf der Insel Giudecca Platten aufzulegen. Es gab dort Installationen und Performances, die Ausstellung im Kulturzentrum Spazio Punch ist noch bis November zu sehen. Das Publikum bei der Eröffnung war ebenso wie die beteiligten KünstlerInnen sehr international, die Stimmung war sehr ausgelassen. Ich habe ein Vinyl-Techno-DJ-Set präsentiert und es ist mir gelungen, die Leute zu euphorisieren und zum Tanzen zu bringen.


Nomadic Party will die kreativen Möglichkeiten aufzeigen, die Mensch und Natur, Kunst und Umwelt miteinander verbinden und in eine ethische künstlerische Aussage münden lassen. Gelingt das?

In der Zeit der Biennale sind unheimlich viele interessante Menschen in dieser an Kultur so reichen Stadt, überall gibt es neue Kunst und es findet fast ein Wettstreit zwischen den vielen Events statt. Alle buhlen um die Aufmerksamkeit der Presse und der Kritik. Durch die Diversität und Vielfalt der künstlerischen Ausdrucksweisen, die sich auch in der Zusammensetzung der Künstlergruppe Nine Dragon Heads widerspiegelt, ihre Mitgliederinnen und Mitglieder kommen aus der ganzen Welt, die Gruppe umfasst viele Sprachen und verschiedene Generationen. Es kann damit ein Prozess der Begegnung und des Austauschs, sowie der gegenseitigen Befruchtung stattfinden. Das entspricht genau dem Motto der diesjährigen Biennale Strangers Everywhere. In den Arbeiten der Nomadic Party werden die brennenden Themen der Zeit angesprochen und es werden Denkanstöße und kritische Diskussion angestoßen.


Sie sagen, Techno sei politisch. Inwiefern? Ist Ihr politisches Bewusstsein über das Auflegen entstanden?

Natürlich kann Techno wie alle künstlerischen Ausdrucksformen auch politisch sein. Gerade jetzt gehen gerade AktivistInnen des Technoclubs Bassiani in Tiflis auf die Straße, um für Gerechtigkeit und Minderheitenrechte und gegen die Repression des autoritären Regimes in Georgien zu protestieren. Es gibt unzählige Beispiele von engagierter Kunst und Kultur im Laufe der Geschichte. Mein politisches Bewusstsein ist über meine Prägung in Elternhaus, Schule und sozialen Umfeld entstanden, meine Studienjahre in Wien in den 90ern mit die vielen Kontakte zur Wissenschaft, aber auch zur Kultur- und Kreativwirtschaft haben dieses Bewusstsein weiterhin gestärkt. Seit meiner Rückkehr nach Meran 1998 habe ich mich vermehrt im lokalen Kulturbereich über meine Arbeit im EHB-Projekt oder bei Literatur Lana engagiert und nicht zuletzt auch in meiner künstlerischen Entfaltung im Bereich der Subkultur als DJ.


Das Joshua Bell-Experiment: Gut sein alleine reicht nicht, das hat unter anderem der Violinist Joshua Bell in der New Yorker Subway gezeigt, als er dort eine Stunde lang musizierte. Wie verlief Ihre Entwicklung, auch was die Bekanntheit angeht, als DJ Veloziped?

Sicher reicht gut sein alleine nicht aus, es herrscht eine große Konkurrenz. Wichtig ist, dass man eine Sache ernsthaft verfolgt, sich ständig weiterbildet und an den internationalen Entwicklungen teilnimmt. Ich habe seit Jahrzehnten Fachmedien genutzt, aber auch den direkten Austausch mit befreundeten Künstlerinnen und Künstlern gesucht.


Wie oft kam es früher, wie oft kommt es heute vor, dass Sie gefragt werden: „Ach, kannst du nicht mal dann und dann bei dem oder dem Event auflegen? Zahlen können wir dich leider nicht?

Solche Sachen kamen schon vor. Natürlich haben die Veranstalter mit großen bürokratischen Auflagen zu kämpfen, deshalb ist es wichtig, dass die Politik die Rahmenbedingungen so gestaltet, dass ein anspruchsvolles, kulturelles Programm, jenseits von reinem Profitdenken möglich ist, alle Beteiligten aber fair bezahlt werden. Es gibt aber auch hierzulande positive Beispiele von Locations, die trotz großer Hürden ein großartiges und vielfältiges Kulturprogramm bieten. Ich denke an den Meraner OstWestClub, die BASIS in Vinschgau, das Hospiz-Festival im Unterland oder SpazioAMA in Bozen.
Sie haben eine sehr große Vinyl-Plattensammlung, mit der Sie arbeiten. Was hat sich in den letzten 35 Jahren im Bereich DJ verändert, was zeichnet Ihre Arbeit, Ihr Auflegen aus?

Die Deejay-Kultur war von Beginn an sehr eng mit dem Medium Vinyl verbunden. Ab den 1970er Jahren wurde erstmals mit Hilfe von zwei Plattenspielern verschiedene Musikstücke ineinander verwoben und ein DJ erzeugte damit einen einzigen endlosen Musikstrom zu dem das Publikum ohne Unterbrechung tanzen konnte. Mit dem Aufkommen der digitalen DJs wurde das Ganze ziemlich vereinfacht, da es dies keine besonderen technischen Fertigkeiten mehr bedarf. Ich spiele jedoch weiterhin mit Vinyl, es erscheinen wöchentlich eine Vielzahl interessanter neuer Platten. Die Schallplatte ist niemals gänzlich verschwunden, im Gegenteil sie erlebt gerade wieder eine große Renaissance. Viele weltweit bekannte DJs wie Sven Väth oder Helena Hauff schwören immer noch auf dieses coole, ewig junge Medium.


Auflegen ist sicherlich nicht nur das Können und der Geschmack. Sondern auch die Kunst, den Geschmack des Publikums und, wahrscheinlicher noch schwieriger, den des Momentes zu treffen. Also braucht es Talent? Erfahrung? Intuition? Was noch?

Sicher sind die von Ihnen genannten Dinge sehr wichtig, es braucht aber auch Passion und Ausdauer. Durch meine wissenschaftliche Ausbildung bin ich es gewohnt, Dinge mit einer gewissen Ernsthaftigkeit, Genauigkeit, aber auch Kritikfähigkeit zu verfolgen. Ich kenne die Mechanismen des Marktes und ihre generelle Oberflächlichkeit. Mainstream-Musik interessiert mich überhaupt nicht, für solche Events gibt es andere DienstleisterInnen. Mir war Qualität immer wichtiger als Quantität und Markttauglichkeit. Es gibt Menschen, die sich eher für das Ungewöhnliche, das Unkonventionelle und Spannende, die Avantgarde interessieren, für solche Menschen lege ich auf.


Sunday Best auf Schloss Pienzenau: Für alle, die sich nicht die Nächte um die Ohren schlagen können, weil zu viele Verpflichtungen (Kleinkinder, Arbeitsverhältnis), war dieses Sonntagsnachmittagsevent eine Alternative. Welchen Zuspruch hatte es? Gibt es heute in Meran wieder etwas Ähnliches?

Der Zuspruch zu Sunday Best war sehr gut, der wunderschöne Schlosspark von Pienzenau war ideal. Wir haben keinen Eintritt verlangt. Wir haben dann begonnen auch internationale KünstlerInnen zu buchen, damit war man aber immer sehr termingebunden und da es eine Außenveranstaltung ist, sehr wetterabhängig. Das bedeutete ein gewisses finanzielles Risiko, weil wir ohne Sponsoren und Eintritt operiert haben. Diesen Sommer wird es im Marconi-Park ähnliche Veranstaltungen beim MAVAI-Festival geben, die ein anspruchsvolles Alternativprogramm zum eher mainstreamorientierten Thermenplatz bieten. Ich werde z.B. am 14. August 2024 im Marconipark auflegen.


Meran, viel beschrieben als Stadt an der Grenze, als Ort zweier Kulturen, Schnittpunkt zwischen Nord und Süd, Tradition und Moderne. Wo stimmt das? Wo nicht? Kennen Sie vergleichbare Orte?

Darüber wurde schon sehr viel geschrieben, ich denke, dass heute in jeder Stadt weltweit verschiedene Kulturen zusammenkommen. Wichtig ist, dass eine echte Begegnung zustande kommt und nicht nur ein reines Nebeneinander. Dafür könnte Meran ideale Voraussetzungen bieten wie es z.B. rührige Kulturverein OstWestClub mit seinem vielfältigen Kulturangebot ohne Konsumzwang beweist.


Sie haben Germanistik sowie Publizistik und Kommunikationswissenschaften in Wien studiert. Und sind Mitbegründer der Genossenschaft Bibliogamma, die sich dem Erschließen Historischer Bibliotheken verschrieben hat. Weiterhin ein Vollzeitjob?

Das Projekt „Erschließung historischer Bibliotheken“ lief seit 1997 und wurde von der Stiftung Sparkasse finanziert, es wurde von unserer Genossenschaft Bibliogamma bis 2018 durchgeführt. Über unsere langjährige Arbeit in Klöstern, Museen und bei privaten Trägern haben wir 12 Fachbücher veröffentlicht. Der von uns erstellte, wissenschaftliche Online-Katalog mit über 850.000 Einträgen war vorher bei der Freien Universität Bozen angesiedelt und ist jetzt auf die Südtiroler Landesbibliothek übergegangen, ich bin nicht mehr direkt involviert- Nach über 20 schönen Jahren, in denen ich mich hauptberuflich damit beschäftigt habe, wollte ich mehr Zeit für Neues bekommen.


Was gefällt Ihnen an Meran am besten und was weniger?

Meran und seine Umgebung ist schon sehr schön, auch das Wetter. Ich möchte nicht, dass Meran mit seinem einmaligen Tappeinerweg zu einem reinen touristischen Hot Spot verkommt, da müssen wir sehr aufpassen. Ich bin auch in diesen Dingen eher für Qualität, als für Quantität.


Haben Sie Wünsche, wie sich die Stadt entwickeln könnte?

Die Stadt soll auch für die Meranerinnen und Meraner lebenswert bleiben, weniger ist oft mehr.

 
Juli 2024