☛ Autorin

 
Die Autorin etlicher Publikationen, viele davon mit dem Thema Meran, studierte Kunstgeschichte in Padua, ihren Doktortitel machte sie an der Scuola di Studi Storici in San Marino. Warum die Historikerin nichts dagegen hat, ab und an eine rosarote Brille aufzuziehen und welche Ecken und Winkel von Meran noch zu entdecken wären, lest ihr hier.
Rosanna, du bist in Detroit geboren. Was verschlug deine Eltern dorthin und wie lange hast du dort gelebt? Und wohin verschlug es dich sonst noch?

Ja, ich wurde in Detroit geboren. Die Familie meines Vaters war 1949 in die USA ausgewandert. Ich war noch sehr jung, als wir nach Meran zurückkehrten, wo die Familie meiner Mutter lebte. Anschließend besuchte ich das Gymnasium in Verona, die Universität in Padua und absolvierte meine Promotion in mehreren Städten, darunter London, Wien, München und Rom.
Du bist Autorin etlicher Publikationen und hast dich mit dem jüdischen Leben in Meran intensiv befasst.

In Archiven forschen, studieren und schreiben, das ist meine Leidenschaft, damit verbringe ich einen Großteil meiner Freizeit. Seit über 20 Jahren fasziniert mich die jüdische Welt, infolgedessen habe ich mich vermehrt mit dem jüdischen Leben, der Religion sowie der Shoah und ihrer Didaktik befasst. Im Anschluss habe ich umfangreiche Recherchen in Archiven durchgeführt und zahlreiche Abhandlungen verfasst. Heute kann ich mich der Tiroler Geschichte und Kunst nicht mehr widmen, ohne sie durch diese erweiterte historische und geistige Perspektive zu betrachten.


Was hat dich an der Zeitspanne 1945-1959 in Meran so interessiert, dass du eine Publikation darüber herausgegeben hast?

Mich hat der Wunsch beeindruckt, nach den Schrecken, Entbehrungen und den vielen Todesopfern, die der Faschismus und der Zweite Weltkrieg gefordert haben, mit Mut und Leidenschaft neu zu beginnen. Besonders bewundere ich die Fähigkeit, große Veranstaltungen auch ohne große finanzielle Mittel zu organisieren oder Wege zu finden, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit ganz ohne Budget auf sich zu ziehen. Beeindruckend ist auch die Kraft, an eine gemeinsame Sache zu glauben und über das Persönliche hinaus zusammenzuarbeiten.


Gleiches gilt für das Kurmittelhaus …

Bereits als Schülerin lernte ich das damals noch baufällige Kurmittelhaus mit all seinen Einrichtungen kennen, als wir dort zum Fechten gingen. Oft erkundeten wir Kinder neugierig die verschiedenen Räume, und ich war sofort fasziniert – der Ort wirkte geheimnisvoll und wunderschön auf mich. Viele Jahre später entschloss ich mich, mich intensiver mit der Geschichte und Architektur dieses Hauses zu befassen. Für mich ist es bis heute ein zauberhafter Ort: die gläserne Decke, der majestätische Kronleuchter, der dort wie magisch schwebt, und die Statuen in Tracht. Die imposante Treppe mit ihrem kunstvoll geschnitzten und vergoldeten Marmorgeländer beeindruckt mich immer wieder. Besonders gerne sitze ich noch heute im ehemaligen Warteraum, der in seiner Eleganz und Unversehrtheit erhalten geblieben ist.
Auch die Verbindungen und Einflüsse von Kunst und Tradition zwischen Meran und Europa waren eine Publikation wert … Würdest du uns etwas darüber berichten?

Im Grunde wurde das Buch zu dritt geschrieben, wobei ich mich dem Brauchtum gewidmet habe. Die Tiroler Traditionen liegen mir besonders am Herzen, vor allem jene, die fernab des Tourismus in den Tälern lebendig geblieben sind. Nach meinem Studium unterrichtete ich einige Jahre in der Gegend zwischen Mals und Laas, dabei lebte ich auf dem alten Bauernhof von Christian Alton in Latsch. Dort lernte ich die lokalen Bräuche kennen und schätzen, was schließlich den Entschluss in mir reifen ließ, tiefer in diese Welt einzutauchen. Ein ganzes Jahr widmete ich mich diesem Thema, bereiste die Täler und nahm an den Festen teil. Der herzliche Empfang, den mir viele Familien bereiteten, hat mich sehr berührt. Sie vertrauten mir großzügig ihre Geschichten, Erinnerungen und Familienfotos an; so konnte ich Traditionen wie das Ausräuchern, das Ostergrab oder das Scheibenschlagen detailliert beschreiben.


Meran sei die Hauptstadt des guten Lebens, sagtest du einmal. Ist das nicht sehr durch die rosarote Brille gesehen?

Ich trage gerne eine rosarote Brille, weil sie mir hilft, gelassener mit den Umständen umzugehen, die ich nicht ändern kann. Sie lässt mich das Glas halb voll sehen und das Leben mit einem Lächeln betrachten. Schon seit meiner Jugend pflege ich die Lebensphilosophie des „bien vivre“ und halte bis heute daran fest. Ich hatte das Privileg, längere Zeit in verschiedenen europäischen und italienischen Städten zu leben, ebenso wie im voruniversitären Brixen und im Vinschgau. Jeder dieser Orte hat für mich seinen eigenen Charme und bemerkenswerte Eigenschaften offenbart. Ob ich eine Wohnung suchte, studierte oder arbeitete – überall entdeckte ich künstlerische Schönheiten, einladende Plätze, gut sortierte Geschäfte und traf auf interessante, herzliche Menschen. Doch immer kehrte ich mit einer gewissen Sehnsucht nach Meran zurück. An Meran habe ich besonders den Winter mit seinen leeren Straßen, dem strahlend blauen Himmel und der warmen Sonne zur Mittagszeit vermisst. Auch die üppige Blütenpracht im Frühling und die warmen Herbstfarben haben mir gefehlt. Was ich an Meran besonders schätze, ist die überschaubare Größe der Stadt, das milde Klima und die Möglichkeit, entlang der Promenaden und durch die Parks zu spazieren, die eine entspannende Ruhe vermitteln – und das mitten im Zentrum. Zudem begeistert mich das kulturelle Angebot, das im Laufe der Jahre immer vielfältiger und umfangreicher geworden ist. Es ist heute fast unmöglich, alles zu verfolgen, was geboten wird. Deshalb bleibe ich weiterhin meiner Lebensphilosophie treu.
Die Ausstellung im Palais Mamming Museum Women in Art – Künstlerinnen in Meran im 19. Und 20 Jahrhunderte, die bis 30. September 2024 lief, hattest du mit Eva Gratl kuratiert. Welche Frauen oder welche Lebensumstände sind dir dabei am nächsten gegangen?

Das vom Amt für Chancengleichheit der Stadt Meran vorgeschlagene Thema empfand ich als wahres Geschenk! Besonders faszinierte mich, dass wir die Ergebnisse unserer Recherchen in unserer eigenen Sprache und mit unserem individuellen künstlerischen Zugang präsentieren konnten, ohne auf Übersetzungen angewiesen zu sein. Das war innovativ und zugleich befreiend. Von Anfang an fesselten mich die Lebensgeschichten jüdischer Frauen, sowohl aufgrund ihrer persönlichen Schicksale als auch, weil ich ihre Werke aus der Perspektive einer Person betrachten konnte, die ihre Kultur gut kennt. Aliza Mandel hatte ich schon seit Jahren im Blick, und auch Dorothy Shakespear Pound weckte mein Interesse.


In welcher Stadt würdest du sonst noch gerne leben?

In Südtirol würde ich in Bruneck leben, in Italien in Venedig, in Europa in Wien und in den USA in Miami.


Nervt dich nicht auch einmal die Enge in Südtirol, wo alles dicht an dicht gedrängt ist? Nimmt sie nicht manchmal die Luft zum Atmen?

Das Gefühl der Enge und des Erstickens spürte ich vor allem, als ich sehr jung war, darum entschied ich mich, die Schule anderswo zu besuchen. Als ich mit 32 Jahren nach meinem Studium und vielen Auslandserfahrungen, Abschlüssen und einer Tasche voller Träume zurückkehrte, war dieses Gefühl paradoxerweise verschwunden. Dennoch reise ich oft, um Neues zu entdecken, mich inspirieren zu lassen, Teile von mir selbst zu finden – und um schließlich Heimweh nach Meran zu bekommen.


Kennst du Menschen, die neu nach Meran gezogen sind? Wenn ja: Wie leicht war es, Anschluss und Einbindung, neue Freunde zu finden?

Es ist nicht einfach, in Meran Freunde zu finden. Viele Menschen kenne ich vom Sehen und grüße sie herzlich, doch über die meisten weiß ich nur wenig oder gar nichts. Ich würde nicht behaupten, dass ich viele Freunde habe, aber da ich von Natur aus eher ein Einzelgänger bin und oft tief in mein Studium vertieft, hat sich bei mir auch eine gewisse Schüchternheit entwickelt.


Was zeigst du Bekannten, die das erste Mal Meran besuchen?

Was ich zeige, hängt stark von den Interessen und der Herkunft meiner Gäste ab. Wenn sie aus einer Stadt kommen, die selbst ein architektonisches oder künstlerisches Juwel ist, dann ziehe ich mein Ass aus dem Ärmel: die Passerpromenade und den Tappeinerweg. Diese Orte versetzen sie immer wieder in Staunen.


Was ist typisch Meran?

Für mich gibt es viele verschiedene Facetten von Meran, daher ist das, was wirklich „typisch“ für Meran ist, vielleicht genau diese Vielfalt.
Welche Aspekte Merans, die eher als komplett untypisch für die Stadt gelten, hast du liebgewinnen können?

Es gibt meines Erachtens Teile der Stadt, die kleine, schwierige Geschichten erzählen, solche, die weit entfernt sind vom Glamour des Tourismus im „reichen Fin de siecle“. Diese Geschichten, die es unbedingt zu erzählen gilt, finde ich besonders in Orten wie der „Planstadt“ Sinich am Rande von Meran, im Maria-Hilf-Viertel mit seiner Kirche oder in den Kondominien der italienischen Einwanderer, die als Angestellte, Lehrer oder Arbeiter kamen. Auch die Geschichten der Näherinnen der Merlet und die Kasernen, die einst Wehrpflichtige und Offiziere mit ihren Familien beherbergten, gehören für mich dazu.


Welchen Aspekten der Stadt wird zu wenig Raum gegeben?

Es gibt viele spannende Geschichten und Themen, die man Bürgern und Touristen näherbringen könnte. Ich würde gern „schriftliche Fremdenführer“ entwickeln, die Gäste über gänzlich andere Routen führen und ihnen unerwartete Orte zeigen. Diesen Bereich möchte ich revolutionieren – nicht durch technische Hilfsmittel wie QR-Codes oder Audioguides, sondern durch den Inhalt. Als junge Frau habe ich jahrelang als Reiseleiterin gearbeitet und dabei wertvolle Erfahrungen gesammelt, die ich gerne in den Dienst der Stadt stellen würde.


Welche Stereotypen über die Stadt möchtest du am liebsten nie mehr hören?

In Meran neigen wir manchmal dazu, ein Thema zu sehr in den Vordergrund zu rücken. Ein Beispiel dafür ist die Kaiserin Sissi, ein anderes Kafka. Beide waren nur kurz in Meran und hinterließen kaum Spuren oder eine tiefere Verbindung zur Stadt. Dabei glaube ich, dass Merans Geschichte viel mehr zu bieten hat. Man denke an all die Schriftsteller, Künstler oder Komponisten, die hier zur Kur waren. Viele bedeutende Persönlichkeiten lebten lange Zeit in Meran, kauften Villen oder ließen Schlösser bauen. Es wäre angemessen, auch diese Menschen und viele weitere Geschichten stärker hervorzuheben, um ein umfassenderes Bild der Vergangenheit zu vermitteln.