Was bedeutet dir der Sonnenberg?
Ich verbrachte den Großteil meiner Kindheit und Jugend am Sonnenberg. Auch später, wenn ich meine Großeltern besuchte, suchte ich immer wieder andere Routen, um zum Hof zu kommen. Dabei entstand 1999 auch die Idee zu den Five Fingers. Bis heute liebe ich es, am Sonnenberg querfeldein durch das Gelände zu streifen. Es sind die alten, ursprünglichen Wege, die mich faszinieren und die einzigartig sind. Südtirols Landschaft ist durchzogen von ihnen, ich nenne sie auch Kapillarwege, und wir müssen sie erhalten. Leider geschieht das Gegenteil und wir versuchen überall, planierte und geschotterte Wege zu bauen und die Leute auf breite Forstwege zu lenken. Das ist grundfalsch. Unser Körper ist für natürlichen Untergrund mit Wurzeln und Steinen gemacht und bewegt sich dort intuitiv, schnell und sicher.
Wir steigen an der Wegmarkierung Nr. 10 den Sonnenberg hoch und bald schon zweigt Robert vom Weg auf einen anderen, nicht markierten Pfad ab. Geschmeidig und pfeilschnell bewegt er sich durch das Gelände und ich habe Mühe mitzuhalten. Wir befinden uns jetzt auf einem jener alten Wege, die jahrhundertelang die Höfe des Sonnenbergs mit der Talsohle verbunden haben. Während einige davon heute zu Wanderwegen ausgebaut wurden, sind andere beinahe in Vergessenheit geraten. Wir gehen zügig weiter, die Eichenblätter des letzten Winters rascheln unter unseren Sohlen, Dornen krallen sich in meine Haut, ich entdecke eine frische Rehspur im Staub. Während wir immer vorwärts wandern, gehe ich gleichzeitig auch zurück: Denke an die Anfänge dieser Wege, warum und wie sie wohl entstanden sind. An die Generationen von Menschen, die darauf gegangen sind, Spur über Spur, all die Gespräche, Geheimnisse, Abschiede, die diese Wege erlebt haben und für immer für sich behalten werden. Es ist, als wären plötzlich alle Sinne voll eingeschalten.
Die Füße passen sich dem Untergrund an, legen sich perfekt über Steine und die Zehen suchen Halt im Sand. Ein spannendes Gefühl. Ich erwische mich, wie ich manchmal bewusst über Wurzeln balanciere und über Steine steige, aus reiner Neugierde auf das Gefühl. Vor uns erhebt sich eine markante Kuppe im Wald, wir setzen uns hin und ich spüre ein leichtes Ziehen in meiner Wade. Robert lächelt zufrieden.