Sie sind in Graun im Vinschgau geboren und in einer Bauernfamilie aufgewachsen. Einige Eindrücke, die Sie bis heute begleiten?
Eindrücke der Kindheit begleiten wohl die meisten von uns ein Leben lang. Das nächtliche Lesen unter der Bettdecke in meiner Schlafkammer, die ich mit einem Bruder teilte, gehört dazu, die winterliche Wärme unserer Stube mit dem Duft von gesponnener Wolle und Bratäpfeln, die Bewegung der Kühe und Schafe im Stall und auf den Weiden, der grandiose Blick auf den See – aber auch die harte Arbeit eines Bauernlebens, in das ich wie alle Kinder früh eingebunden war.
Wie lesen Sie? Nach Autorinnen und Autoren? Themen? Epochen? Zeitgeschichte? Ländern? Neuerscheinungen?
Ich bin eine Art Querfeldeinleser ohne bestimmtes Konzept. Mit Vorliebe für Neuerscheinungen. Man will ja auch wissen, was die Schriftstellerkolleginnen und Freunde aus Österreich oder Deutschland so treiben. Belletristik, klar, keine Krimis oder Fantasy... Und: Ich lese auch Lyrik. Und daneben vor allem Zeitungen, um über aktuelle Entwicklungen und Diskussionen auf dem Laufenden zu sein.
Gibt es Romane, von denen Sie mehr über Geschichte gelernt haben als über Sachbücher zum Thema? Wenn ja, welche?
Wenn wir das Wort „gelernt“, das mir zu sehr ins Kognitive geht, mit „erfühlt“ oder „verstanden“ ersetzen, dann ja. Dann gibt es unendlich viele. Von Bulgakows „Der Meister und Margarita“ über „Die Blechtrommel“ von Günter Grass bis zu Kunderas „Der Scherz“, um nur einige zu nennen, die mir auf die Schnelle einfallen. Aber natürlich sind mir historisch-wissenschaftliche Untersuchungen auch wichtig, oft sind sie Grundlagen für mein eigenes Schreiben.
Zwischen Veröffentlichung von „Berliner Zimmer“ (2012) und dessen Veröffentlichung in Italienisch liegen zehn Jahre. Trotz der umgreifenden Veränderungen in der Welt für Sie kein wirkliches Problem, da Sie, wie Sie sagen, zum einen langsam schreiben und zum anderen auf die aktuellen News nicht in der Form eingehen, als dass sie Jahre später bereits verjährt wären …
Natürlich interessiert mich die Gegenwart, als Mensch, als Bürger. Die Weltnachrichten sind sozusagen mein täglich Brot. Aber als Schriftsteller brauche ich so etwas wie Distanz, die oft eine zeitliche ist. Distanz, die mich vielleicht die Dinge klarer sehen lässt. Aber nicht selten kommt es vor, dass Schreiben über Vergangenes dann doch ein Spiegel der Gegenwart wird… Und die Langsamkeit beim Schreiben ist wohl weniger Programm als meinem Obervinschgauer Phlegma geschuldet.
Sie sagten, “Das Mitleid mit diesen Kindern war die größte Motivation“, bezogen auf die Geschichte des behinderten Jungen in Ein Hund kam in die Küche. Gibt es geschichtliche oder aktuelle Grausamkeiten, über die Sie nicht schreiben könnten? Wenn ja, warum nicht?
Über Grausamkeiten schreiben?
Naja, grundsätzlich kann ich über alles schreiben, das hängt immer vom Blickwinkel ab, von der Perspektive, die man wählt, vom „Wie“, auch sprachlich. Das ist das Entscheidende, nicht das Thema. In „Ein Hund kam in die Küche“ ist die Perspektive des „unbeteiligten“ Kindes das Entscheidende, einige der Grausamkeiten der NS-Zeit werden auf diese Weise nur angedeutet, es wird sozusagen ein kleines Fenster geöffnet, damit man hinsehen kann, wenn man will.
Tiere spielen in Ein Hund kam in die Küche eine Rolle. Aber auch in etlichen Gedichten. Was macht sie als Metapher so attraktiv?
Dass im Roman so viele Tiere vorkommen, hat in erster Linie mit dem kindlichen Blick des Erzählers zu tun, mit der Faszination des Jungen und seines behinderten Bruders für Tiere. Der Kleine sagt ja von sich, dass er eigentlich ein Eichhörnchen ist, aber ein reinrassiges. Und ja, man kann das, was mit den Tieren passiert, natürlich auch unter einer metaphorischen Perspektive sehen. Man kann, muss aber nicht, sie sind ja gleichzeitig reale Figuren in der Geschichte – vielleicht macht diese Möglichkeit des Changierens die erwähnte Attraktivität aus.
Wie halten Sie es mit Tieren? Nah, fern, gar nicht?
In meiner Kindheit waren Tiere vor allem Nutztiere, die – auch wenn man gut zu ihnen war – einem utilitaristischen Zweck unterworfen waren. Tiere, die man großzieht, ihre Wolle, ihre Milch, ihre Zugkraft für sich nutzt und am Ende verkauft oder schlachtet. Heute sehe ich Tiere vermehrt unter einer ethischen Perspektive. Dass Tiere Gefühle haben und weit intelligenter sind, als die meisten von uns glauben, davon bin ich überzeugt.