WILLY, DER SCHAFFLÜSTERER

WILLY, DER SCHAFFLÜSTERER

Die Transhumanz – Übers Joch gehen

Wir fahren durch einen Tunnel. Dann klettert links eine Bergwiese in die Höhe. Umringt von schwarzen und weißen Schafen steht dort Willy Gurschler, der Schäfer. Als wir hinkommen, zieht seine Herde blökend davon. Bis auf ein kleines Schaf. Es bleibt zwischen uns stehen, knabbert an unseren Jacken, sucht unsere Nähe. Ein Blöken um Aufmerksamkeit.

Wie ist ein Schaf denn?
Mal treu, mal scheu, mal übermütig, jetzt im Frühling bockig.
Außerdem stehlen sie mir hier auf der Wiese immer das Heu, das ich eigentlich nur für Zwischenfütterungen gelagert habe. Also, so ein wolliges Tier kann auch ganz schön frech sein.

Willy, kennst du deine Schafe in- und auswendig?
Ja, die sind schon sehr eigen, da hat jedes so seinen Charakter und sein Gemüt. Die einen sind eher bockig, die anderen sind zutraulicher. Namen haben sie zwar keinen, aber die Schafe und ich, wir sind schon sehr vertraut. Der Gang, die erkennen mich am Gang und am Geruch. Die wissen genau, wenn ich daherkomme.
Die Mütter und ihre Jungen erkennen einander am Ton. Am „Mäh“ sozusagen und an der Schelle. Jeder Besitzer hat dann noch eigene Farbkombinationen für seine Herde, um die Tiere auseinanderhalten zu können. Dazu dienen auch die gelben Marken in den Ohren.

Wie viele Schafe kannst du zählen? - Hast du ein System?
Bei 1600 Schafen, da ist das Zählen schwierig, da wird im Langes (im Frühjahr) einmal durchgezählt und dann einmal im Herbst. Es gibt genug Schafe, die unterwegs zur Welt kommen. Manch` eines verunglückt auch, dort in den Bergen.

Wie bist du „auf das Schaf gekommen“?
Mah, früher war ich erwerbstätig und hab‘ das Hüten als Hobby nebenbei gemacht, am Wochenende. Jetzt bin ich in Pension und bleibe die ganzen drei Monate oben. Mein Vater war auch 3 Jahrzehnte lang Hirte, aber wenige haben es so lang gemacht wie ich, nämlich 36 Jahre.

Gibt es spezielle Routen oder gehen die Schafe ihre eigenen Wege?
Wir ziehen über`s Hochjoch. Aber die Schafe, die würden auch ohne Hirten gehen. Besonders die älteren Schafe erinnern sich genau an die Wege und „ihre“ Wiesen. Manchmal werden die Neugeborenen und Mütter im Tal zurückgelassen, aber die gehen auch allein übers Joch und zurück.

Hinterm Joch gibt es also tatsächlich ganze Wiesenflächen? Sind diese Weiden Gemeingut?
Zwischen den Gletschern sind die, da, wo man meint, es gibt nichts mehr. Manchmal ist`s ganz blau, weil so viele Blumen wachsen. Die Schafe fressen nur das Beste heraus. Die Weideflächen gehören aber acht unterschiedlichen Besitzern.

Wer ist dein eigentlicher Arbeitgeber? Der Bauer, eine Genossenschaft? Die Schafe?
Willy lacht Nein, direkten Arbeitgeber habe ich keinen, hüten tue ich, weil ich`s gern tue. Aber es sind schon die Schafe von über 30-40 Bauern, die auf Weiden getrieben werden. Man kriegt zwar pro Schaf eine Pauschale, für`s Geld tut man das aber nicht. Es ist auch nicht so leicht neue Hirten zu finden. Die Jungen wollen nicht mehr lange hinterherrennen.

Dem Geld oder den Schafen?
Lacht wieder. Den Schafen. Dem Geld wird bald einmal nachgerannt. Viele entscheiden sich deswegen auch für eine andere Form der Viehwirtschaft.
Früher haben wir 6000-8000 Schafe hochgetrieben. Heute zahlt sich die Kuhmilchwirtschaft eher aus.

Du bist drei Monate unterwegs. Fehlen dir auf dem Berge eigentlich andere Menschen? Ist dir nie langweilig?
Nein, langweilig wird‘s nie, da ist jeden Tag etwas anderes zu tun. Ich freu mich, wenn ich oben bin und wenn ich unten bin, freu ich mich auch. An manchen Tagen muss ich glatt schauen, dass ich meine Ruhe habe. Da wollen sie alle ratschen (plaudern), die Wanderer. Ich geh da lieber meine Wege und wenn ich mal selber ratschen will, dann kehre ich bei einer Schutzhütte ein. Die Wirte da oben kenne ich alle. Da trifft man auch auf manchen Bergführer, die erzählen mir dann, wenn sie auf einem Grat ein Schaf gesehen haben.

Was gehört alles zu deinen Aufgaben?
Ich gehe immer meine Runden, einmal über die Wiesen, einmal in die Höhe. Außerdem trage ich das Salz zu den Herden. Ich hab` nämlich überall kleine „Salzhüttelen“ (kleine Häuschen) eingerichtet. Ich schau‘ schon gut auf meine Schafe. Früher, da habe ich fünfzig Kilogramm Salz alleine hochgetragen, auf dem Rücken. Stundenlang ohne zu rasten. Heute schaffe ich das nicht mehr. Das Alter …
Wenn die nicht genug Salz haben, dann rennen sie den Wanderern nach – dann tun sie „salzln“. Das ist nicht zu unterschätzen - wenn so eine Herde auf dich zurast …

Wo schläfst du eigentlich dort oben?
In der Schäferhütte. Mein Vater hat in der Hütte noch den Schnee auf der Bettdecke gehabt, wenn in der Nacht der Schnee gefallen ist, und die gefrorenen Socken. Wenn ich jetzt raufgehe, dann erwartet mich da eine gute Stube, mit Holz und Strom wird eingeheizt. So hab` ich mir das eingerichtet. Es ist wohlig angenehm da oben, mir fehlt es an nichts.

Wovon ist die Herde am meisten zu schützen? Welchen Gefahren ist sie ausgesetzt?
Am gefährlichsten ist eigentlich der Adler, der packt die kleinen Lämmer, eins nach dem anderen. Oder der Fuchs. Zum Glück gibt`s noch keine Bären hier. Jetzt, wo die Gletscher zurückgehen, gibt`s auch nicht mehr so viele gefährliche Absturzstellen in den Bergen. Der Blitz erschlägt manchmal eins der Tiere. Aber überall könnte man nicht Acht geben und vor Naturgewalt kann man die Tiere nicht schützen.
Wie kommunizierst du mit deinen Kollegen? Pfeifen oder doch mit dem Handy?
Da oben hab` ich keine Kollegen. Ich bin der einzige Hirte in den Bergen. Aber Treiber, davon gibt`s eine ganze Truppe, an die 20 Leute sind wir. Da kennt man sich so gut, dass man eigentlich nicht mehr viel reden muss. Wir pfeifen, die Hunde helfen uns. Im Herbst treiben wir 3 Tage lang die Schafe zusammen – da braucht`s uns alle. Das ist ja ein weitläufiges Revier, das kann man sich gar nicht vorstellen. Wenn ein paar Schafe zurückgelassen werden, müssen sie halt nachher nochmal gesucht werden.

Du schaust auf 1600 Schafe. Hast du denn ein Lieblingsschaf in deiner eigenen Herde?
Mah, gernhaben tue ich alle 56. Willy lacht.

Wie rufst du deine 56 Lieblingsschafe?
„Leck-Leck-Leck“ oder „Geh-Geh-Geh“. Aber auf dem Berg hilft mir das nicht viel, da haben die genug Salz. Da horchen sie nicht mehr auf mich.

Sobald wir uns zurückziehen, ruft Willy sein „Geh-Geh-Geh“. Die Lieblingsherde kommt unter vieltönigem Gebimmel langsam näher. Zu ihrem Lieblingshirten.



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