Habt ihr eine Lieblingsdarstellung in der Kirche oder eine Freske, die ihr besonders interessant findet?
M: Eine Darstellung, die mich bis heute fasziniert, sind die Engel mit ihren offenen Händen, die den Chorbogen schmücken. Besonders schön finde ich die Haltung der Hände, die Böses abwehren soll. Und wenn man genau schaut – es sind die einzigen Darstellungen mit Ohren in der Kirche! Vermutlich hängt es mit der Position am Altar zusammen – man hört Gottes Wort.
H: Spannend ist auch, dass es Darstellungen gibt, die wir so nur aus der St. Prokulus Kirche kennen: die überproportional großen Hände oder die gotische Darstellung der Heiligen Drei Könige, die als Kinder, als Männer und dann als Greise dargestellt werden. Die Symbolik dahinter ist vermutlich, dass der Mensch das ganze Leben auf der Suche ist. Eine einzigartige Darstellung!
Nach drei Jahrzehnten Erfahrung – hat sich das Publikum, das die Kirche besucht, über die Jahre geändert?
H: Das Publikum war seit jeher sehr bunt. Von Touristen, über Schulklassen bis Universitätsprofessoren war alles dabei. Was sich in den letzten Jahren aber auf alle Fälle geändert hat, ist, dass der Kulturtourismus sehr stark zugenommen hat. Vor 35 Jahren kamen viele nach Südtirol, die wollten nur wandern und den Wein genießen. Da blieb dann nicht viel Raum und Zeit für anderes. Das hat sich in den letzten Jahren sehr stark gewandelt.
Gibt es eine Geschichte oder einen Besuch, der euch besonders im Gedächtnis geblieben ist?
M: In den 35 Jahren gab es so viele schöne Begegnungen und so viel Austausch mit den verschiedensten Menschen, dass es schwierig ist, etwas speziell hervorzuheben.
H: Die Kirche wird von allen möglichen Menschen besucht, auch Staatsführer waren dabei. Wenn dann plötzlich bewaffnete Personenschützer am Eingang standen, wurde einem schon mulmig. Schön waren auch die Momente, wenn ich Führungen für Schulklassen machte – und manche Kinder dann am Wochenende mit ihren Eltern noch einmal vorbeikamen, um ihnen die Kirche zu zeigen.
M: Wir haben auch nie zweimal die gleiche Führung gemacht. Mit der Zeit bekommt man Routine und ein Gespür für die Besucher und man konnte die Führung spontan recht individuell zuschneiden und bestimmte Dinge vertiefen, während man vielleicht andere Informationen wegließ. Bei der nächsten Führung war es dann vielleicht wieder genau anders herum.
Was, glaubt ihr, macht die Anziehungskraft von Prokulus aus, was gibt dieser unscheinbaren Kirche bis heute diese Strahlkraft?
H: Die St. Prokulus Kirche ist mehr als nur ein Kulturdenkmal oder eine Kirche. St. Prokulus ist ein Kraftort! Seit Jahrhunderten pilgern Menschen zu solchen Orten und jeder, der sie besucht, lässt etwas von sich dort. Wir hatten auch alle möglichen Pendler und Wünschelrutengänger in der Kirche. Dazu kann man dann natürlich stehen, wie man will, aber dass diese Kirche ein Ort ist, an dem man sich wohl fühlt und Kraft tankt, bestätigt einem jeder. Auffällig ist auch, dass im Garten von St. Prokulus immer Eltern und ihre Kinder anzutreffen sind.
Die Welt erlebt momentan turbulente Zeiten und Krisen. Würdet ihr sagen, dass gerade Kulturgüter heute eine wichtige gesellschaftliche Rolle erfüllen, Menschen Halt geben können? Man denke nur daran, wie entsetzt die Welt auf die brennende Notre Dame oder die vom IS zerstörten Denkmäler geblickt hat.
H: Solche Denkmäler sind Identifikationsorte. Manchmal nimmt man sie nicht mehr zur Kenntnis, weil sie eben seit jeher hier waren, einfach dazugehören. Viele sind oft überrascht, dass viele dieser Gebäude auch aktuelle Bezüge aufweisen. Wie im Falle von St. Prokulus: Beim Schutzmantelfresko der Maria, die mit ihrem Mantel die Pestpfeile abwehrt, kann man eine schöne Brücke in die Zeit der Corona-Pandemie schlagen. Ich würde auch generell sagen, dass sich wieder mehr und mehr Menschen der Kultur und Geschichte zuwenden. Was natürlich eine schöne Entwicklung ist. Also sind diese Orte doch mehr als nur tote Steine?
H (lacht): Diese Orte sind nicht tot. Im Gegenteil, sie sind höchstlebendig und wer zuhören kann, dem erzählen sie die spannendsten Geschichten.