Auf Du und Du mit St. Prokulus
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35 JAHRE LANG WAREN MARIA UND HEINRICH KOCH DIE GUTEN GEISTER VON ST. PROKULUS.
Die Pandemie nahmen sie zum Anlass, sich von ihrer Betreuung und den Führungen in der Kirche zu verabschieden. Wir trafen sie und sprachen mit ihnen noch einmal darüber, welche Fresken sie auch nach all den Jahren immer noch faszinieren, was die St. Prokulus Kirche so speziell macht und warum manche Besucher bewaffnet kamen.

Wie hat die Geschichte mit euch und St. Prokulus begonnen?
Maria: Wie es oft passiert, sind wir da eher zufällig reingerutscht. Früher haben bei Bedarf einige junge Burschen des Dorfes Führungen in der St. Prokulus Kirche angeboten. Organisiert hat das damals Dekan Peer und einer dieser Jungen war unser Sohn Christoph. Auch Heinrich hat auf Anfragen des Tourismusvereins immer wieder Gruppenführungen abgewickelt. Als Christoph sich dann auf die Abschlussprüfung in der Schule vorbereiten musste, habe ich die Führungen übernommen. Heinrich hat damals noch unterrichtet und vom Zeitpunkt an, wo er in Pension gegangen ist, haben wir die Kirche gemeinsam betreut.
Heinrich: Die ganze Familie hat sich immer mit sehr viel Freude mit der Kirche beschäftigt, es war vom ersten bis zum letzten Tag quasi ein zweites Zuhause. Ihr habt euch 35 Jahre lang intensiv mit St. Prokulus beschäftigt.

Was fasziniert euch bis heute am meisten?
M: Mich fasziniert einfach die Wirkung der Kirche. 35 Jahre lang habe ich sie betreut und besuche sie immer noch mit Führungen und die Fresken faszinieren mich heute noch wie damals am ersten Tag. Es ist ein so kleiner Raum, der so viel Überraschendes, so viel Schönes und so viele Details verbirgt.
H: Mich fasziniert die Erkenntnis, dass wir, trotz aller wissenschaftlichen Erkenntnisse, nichts wissen. Die karolingischen Fresken lassen alles offen, können in alle möglichen Richtungen interpretiert werden. Da gibt es viel zu vermuten und wenig zu wissen. Alles, was wir den Besuchern erzählten, waren Theorien. Was sich diese Maler vor 1.300 Jahren dachten und uns sagen wollten, werden wir nie wissen, denn wir waren nicht dabei. Die Karolinger stellten mit ihren Fresken auch Dinge dar, die ihnen wichtig waren, die sie bewegten. Im Gegensatz dazu wollten die gotischen Maler mit ihren Fresken hauptsächlich Religion vermitteln.

Worüber sind die Besucher am meisten erstaunt?
H: Viele, die die Kirche besuchen, wissen ja schon ungefähr, was sie erwartet. Womit die wenigsten Menschen rechnen, ist die persönliche Betreuung, die wir ihnen bieten konnten. Es war immer Zeit für ein Gespräch, für individuelle Fragen und für einen Gedankenaustausch. Dieser fand auch immer auf Augenhöhe statt, da waren wir nicht die Führer, die alles wussten und erklären konnten. Im Gegenteil, die Besucher hatten manchmal sehr spannende Theorien und Meinungen. Dieser zwischenmenschliche Austausch ist einfach ein Grundbedürfnis der Menschen. Umso wichtiger, dass wir ihn nicht ganz verlernen. Der Austausch mit anderen ist auch das, was wir jetzt nach unserem Rückzug aus der Kirche am meisten vermissen.
Die Fresken in der St. Prokulus Kirche sind 1.300 Jahre alt.
Habt ihr eine Lieblingsdarstellung in der Kirche oder eine Freske, die ihr besonders interessant findet?
M: Eine Darstellung, die mich bis heute fasziniert, sind die Engel mit ihren offenen Händen, die den Chorbogen schmücken. Besonders schön finde ich die Haltung der Hände, die Böses abwehren soll. Und wenn man genau schaut – es sind die einzigen Darstellungen mit Ohren in der Kirche! Vermutlich hängt es mit der Position am Altar zusammen – man hört Gottes Wort.
H: Spannend ist auch, dass es Darstellungen gibt, die wir so nur aus der St. Prokulus Kirche kennen: die überproportional großen Hände oder die gotische Darstellung der Heiligen Drei Könige, die als Kinder, als Männer und dann als Greise dargestellt werden. Die Symbolik dahinter ist vermutlich, dass der Mensch das ganze Leben auf der Suche ist. Eine einzigartige Darstellung!

Nach drei Jahrzehnten Erfahrung – hat sich das Publikum, das die Kirche besucht, über die Jahre geändert?
H: Das Publikum war seit jeher sehr bunt. Von Touristen, über Schulklassen bis Universitätsprofessoren war alles dabei. Was sich in den letzten Jahren aber auf alle Fälle geändert hat, ist, dass der Kulturtourismus sehr stark zugenommen hat. Vor 35 Jahren kamen viele nach Südtirol, die wollten nur wandern und den Wein genießen. Da blieb dann nicht viel Raum und Zeit für anderes. Das hat sich in den letzten Jahren sehr stark gewandelt.

Gibt es eine Geschichte oder einen Besuch, der euch besonders im Gedächtnis geblieben ist?
M: In den 35 Jahren gab es so viele schöne Begegnungen und so viel Austausch mit den verschiedensten Menschen, dass es schwierig ist, etwas speziell hervorzuheben.
H: Die Kirche wird von allen möglichen Menschen besucht, auch Staatsführer waren dabei. Wenn dann plötzlich bewaffnete Personenschützer am Eingang standen, wurde einem schon mulmig. Schön waren auch die Momente, wenn ich Führungen für Schulklassen machte – und manche Kinder dann am Wochenende mit ihren Eltern noch einmal vorbeikamen, um ihnen die Kirche zu zeigen.
M: Wir haben auch nie zweimal die gleiche Führung gemacht. Mit der Zeit bekommt man Routine und ein Gespür für die Besucher und man konnte die Führung spontan recht individuell zuschneiden und bestimmte Dinge vertiefen, während man vielleicht andere Informationen wegließ. Bei der nächsten Führung war es dann vielleicht wieder genau anders herum.

Was, glaubt ihr, macht die Anziehungskraft von Prokulus aus, was gibt dieser unscheinbaren Kirche bis heute diese Strahlkraft?
H: Die St. Prokulus Kirche ist mehr als nur ein Kulturdenkmal oder eine Kirche. St. Prokulus ist ein Kraftort! Seit Jahrhunderten pilgern Menschen zu solchen Orten und jeder, der sie besucht, lässt etwas von sich dort. Wir hatten auch alle möglichen Pendler und Wünschelrutengänger in der Kirche. Dazu kann man dann natürlich stehen, wie man will, aber dass diese Kirche ein Ort ist, an dem man sich wohl fühlt und Kraft tankt, bestätigt einem jeder. Auffällig ist auch, dass im Garten von St. Prokulus immer Eltern und ihre Kinder anzutreffen sind.

Die Welt erlebt momentan turbulente Zeiten und Krisen. Würdet ihr sagen, dass gerade Kulturgüter heute eine wichtige gesellschaftliche Rolle erfüllen, Menschen Halt geben können? Man denke nur daran, wie entsetzt die Welt auf die brennende Notre Dame oder die vom IS zerstörten Denkmäler geblickt hat.
H: Solche Denkmäler sind Identifikationsorte. Manchmal nimmt man sie nicht mehr zur Kenntnis, weil sie eben seit jeher hier waren, einfach dazugehören. Viele sind oft überrascht, dass viele dieser Gebäude auch aktuelle Bezüge aufweisen. Wie im Falle von St. Prokulus: Beim Schutzmantelfresko der Maria, die mit ihrem Mantel die Pestpfeile abwehrt, kann man eine schöne Brücke in die Zeit der Corona-Pandemie schlagen. Ich würde auch generell sagen, dass sich wieder mehr und mehr Menschen der Kultur und Geschichte zuwenden. Was natürlich eine schöne Entwicklung ist. Also sind diese Orte doch mehr als nur tote Steine?
H (lacht): Diese Orte sind nicht tot. Im Gegenteil, sie sind höchstlebendig und wer zuhören kann, dem erzählen sie die spannendsten Geschichten.
Die Kirche war wie ein zweites Zuhause für Maria und Heinrich.
Die unscheinbare Kirche St. Prokulus birgt mit ihren frühkarolingischen Fresken im Innenraum einen kunsthistorischen Schatz. Nicht nur ihr Alter, um die 1.300 Jahre, machen sie besonders, sondern auch die speziellen Darstellungen: der berühmte Schaukler, Engel, keltische Zierbänder, die Rinderherde oder die Zuschauer. Neben diesen Fresken findet man auch gotische Malereien.
Wer noch weiter in den historischen Hintergrund eintauchen möchte, kann das gegenüberliegende Prokulus Museum besuchen. Archäologische Funde geben Einblicke in die Lebenswelt in Naturns von der Spätantike bis zur verhängnisvollen Fleckfieber-Seuche des 17. Jahrhunderts.
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