Schneegestöber wechselt mit Sonnenschein, das neue Jahr ist noch jung, als wir uns mit Magdalena und Simon Messner im Vinschger Bauernladen treffen. Aufmerksam und freundlich grüßen sie jeden im Café, dann setzen sie sich zu uns an den Tisch und erzählen von der Kindheit auf Juval, den Plänen für die Zukunft und warum Vater Reinhold Messner einmal beinahe die Polizei rufen musste.
Euer Vater Reinhold Messner ist der bekannteste lebende Abenteurer der Welt und gilt als Reizfigur, die oft mit unpopulären Meinungen aneckt. Gab es je Situationen, wo ihr euch gedacht habt: „Warum kann unser Vater nicht einfach ein Briefträger sein?“
Magdalena: Nein, diese Frage hat sich mir nie gestellt, auch als Kind nicht. So wie unser Vater ist, so ist er einfach. 
Simon: (überlegt lange) Nein, mir geht es genauso. Wir sind so aufgewachsen und als Kind kennt man es nicht anders, man vergleicht sein Leben ja nicht mit dem der anderen Kinder. Für uns war dieses Leben, das von außen oft besonders ausschaut, ja auch irgendwie nur normal, Alltag sozusagen. 
M: Schwierig war vielleicht die Yeti-Phase, damals ging ich in Meran zur Grundschule und es gab schon manchmal verbale Attacken, gemeine Dinge, die die Kinder den Eltern nachplapperten. Man wurde quasi über den Vater angegriffen und fühlt auch als Kind, dass es unfair ist. Sich zu verteidigen ist dann natürlich schwierig. Im Nachhinein weiß ich aber, dass es mich gestärkt hat. So habe ich schon früh gelernt, Stellung zu beziehen und vor allem auch zu verinnerlichen: Mein Vater gehört zu mir, aber ich bin nicht mein Vater. 
S: Ja, das war manchmal problematisch. Dass man als Kind geradestehen soll für etwas, das der Vater tut oder sagt, obwohl man vielleicht seine Aussagen oder Darstellungen gar nicht teilt. 

Simon, du bist gerade von Dreharbeiten bzw. einer Kletterexpedition aus Patagonien zurückgekommen. Wie reagieren Bergsteigerkollegen, wenn sie deinen Namen erfahren?
S: Ich sehe keinen Grund, meinen Namen nach außen zu tragen. Ich bin einfach der Simon, mein Nachname hilft mir beim Klettern nicht. Es ist aber tatsächlich so, dass sich die Leute anders verhalten, wenn sie meinen ganzen Namen kennen – und das mag ich gar nicht! 
M: Das Studium haben wir beide sehr genossen, weil wir anonym leben konnten. Wenn sich mal die Frage nach dem Beruf der Eltern ergeben hat, dann musste man selber wissen, ob man sich offenbaren will. Wenn nicht, habe ich immer gesagt, mein Vater ist Autor … 
S: … ich sagte, Bauer … 
M: Genau, man hat dann nur etwas verschwiegen und nicht unbedingt gelogen (lacht).

War es als Sohn von Reinhold Messner eine logische Konsequenz, dass du ebenfalls eine Karriere im Bergsteigen einschlägst?
S: Überhaupt nicht. Als Kind hat es mich gar nicht interessiert, das Thema war einfach zu präsent und normal. Selbst Gute-Nacht-Geschichten handelten von den Bergen! Die Lust und die Leidenschaft zur Kletterei kam erst später, so mit 16 oder 17. Der Alpinismus ist ein zentrales Thema in meinem Leben, aber ich bin keiner dieser verbissenen Bergsteiger. Wenn man zur Weltspitze gehören will, muss man auf vieles verzichten und auf höchstem Level trainieren, 30 bis 40 Stunden pro Woche. Das muss man schon wollen – ich will es nicht. 
M: Unser Vater hat uns nie unter Druck gesetzt oder versucht, uns in eine Richtung zu drängen. 
S: Manchmal hat er uns vielleicht sogar zu viel Freiheit gelassen. 
M: Stimmt, wir hatten alle Wahlmöglichkeiten, vielleicht war man damals davon sogar ein bisschen überfordert. Man hat aber auch schnell gelernt, Verantwortung zu übernehmen. Wenn dann mal was schiefgegangen ist, gabs allerdings auch keine Vorwürfe, sondern man musste halt dazu stehen und es selber ausbügeln. Sich mit den Fehlern anderer aufzuhalten, ist nicht der Stil unseres Vaters.
Waren die Themen Verantwortung und Eigenverantwortung sehr präsent in eurer Erziehung?
M: Bestimmt. Dadurch dass unsere Eltern viel auf Reisen waren, fühlte ich mich als Älteste auch meinen jüngeren Geschwistern gegenüber verantwortlich. Das Gefühl kam stark aus mir selber heraus, Verantwortung wurde daheim aber auf alle Fälle vorgelebt. Willensstärke und Disziplin waren wichtige Themen, jammern war bei uns in der Familie nicht üblich. Auch wenn wir als Kinder spätabends von einer langen Reise heimkamen, wussten wir: Am nächsten Tag müssen wir zur Schule. Wir haben gar nicht probiert, zu verhandeln. 
S: Vielleicht kurz probiert, aber im Grunde wussten wir schon, dass es zwecklos ist (beide lachen).Wobei: Einmal kamen wir aus dem Jemen zurück und ich habe mir von dort die Gelbsucht mitgebracht. Ich wurde dann einen Monat von der Grundschule freigestellt. Das hat mir so gut gefallen, dass ich mich nach dem Monat geweigert habe, wieder in die Schule zu gehen. Ich habe mich einfach im Zimmer eingesperrt. 
M: (lacht) Daran kann ich mich noch gut erinnern. Es war das einzige Mal, dass unsere Mutter unseren Vater holte, weil sie nicht mehr weiterwusste. 
S: Der wusste erst recht nicht, was tun (beide lachen). Er hat einfach gesagt, man muss zur Schule, sonst kommt einen die Polizei holen. Das fand ich dann auch nicht so toll.

Simon, du bist seit Kurzem gemeinsam mit deinem Vater auch im Filmgeschäft unterwegs und drehst Bergfilme. Ist dieses ausführliche Geschichten-Erzählen so etwas wie eine Gegenbewegung zur Schnelllebigkeit unserer Zeit?
S: Ja, das kann man so sagen. Wir leben in einem interessanten Zeitalter. Man hört ständig von Leuten, die eigentlich gar nicht viel zu sagen haben, sich aber gut darstellen können. Leider glauben dann auch viele, dass diejenigen, die sich am besten darstellen auch die besten sind. Was natürlich Quatsch ist.In diesem Zusammenhang kann man auch die Sozialen Medien kritisch hinterfragen, die diese Entwicklung stark begünstigen. Alles, was zählt, sind gute Bilder, mittlerweile leider auch im Alpinismus. Dieser Entwicklung stehe ich sehr skeptisch gegenüber.Unsere Filme dagegen leben von langstehenden Bergbildern, wo viel Luft sein soll zum Schauen, zum Überlegen, zum Hinterfragen. Wir gehen weg vom schnellen Schnitt, allgemein vom Hastigen, weil ich skeptisch bin, dass das das ist, was die Leute wirklich wollen.

Was bedeutet für dich Alpinismus im 21. Jahrhundert? Ist das Goldene Zeitalter vorbei, das Zeitalter der Erstbesteigungen und sensationellen Expeditionen?
S: Ich glaube nicht, dass das Goldene Zeitalter des Alpinismus vorbei ist. Er entwickelt sich einfach weiter. Meine Philosophie betrifft eher das Gebirge als wilden Ort. Wenn man selber Verantwortung übernimmt, selber sichert, selber Entscheidung trifft, dann bleibt das Thema Alpinismus ewig aktuell und spannend. 
Magdalena, du hast 2017 die komplette Leitung der Messner Mountain Museen (MMM) übernommen. Vor welchen Herausforderungen stehst du besonders?
M: Die MMM sind die einzigen Museen weit und breit, auch über die Landesgrenze hinaus, die ohne Beiträge oder Subventionen laufen. Wir haben nie danach gefragt und das soll momentan auch so bleiben, vor allem weil wir uns diese Flexibilität und Unabhängigkeit bewahren wollen. Auch tut uns der Wettbewerb in der freien Marktwirtschaft gut, man legt sich viel mehr ins Zeug. Die sechs Museen werden von einem Team von insgesamt nur 20 Personen getragen – auch das ist eine unglaubliche Leistung und funktioniert nur, weil wir den Betrieb so familiär und persönlich führen können, unsere Mitarbeiter gerne Teil der MMM-Familie und so loyal sind. Wir wurden als einer der besten Arbeitgeber Südtirols ausgezeichnet. Das ist natürlich für mich eine schöne Bestätigung dafür, dass wir auf dem richtigen Weg sind. 

Wie viel ist in den MMM noch Reinhold und wie viel schon Magdalena Messner?
M: Meine Handschrift ist auf alle Fälle schon drin, vor allem in der Mitarbeiterführung und in der allgemeinen Erscheinung. Auch die MMM-Events sind erst mit mir entstanden, während Reinhold bei der Einrichtung und beim Kuratieren der Museen nach wie vor das letzte Wort hat, schließlich sind es seine Museen. Darüber bin ich froh, da es ein riesiger Bereich ist und wir uns mit dieser Aufteilung der Aufgaben sehr gut ergänzen. Jeder macht, was er am besten kann. Es gibt natürlich immer wieder Diskussionen, im Gegensatz zu mir lässt er sich von guten Argumenten recht schnell überzeugen und umstimmen … 
S: … und dann ist die Idee natürlich von ihm (beide lachen).

Simon betreibt mit eurem Vater die Produktionsfirma Messner Mountain Movie, Magdalena leitet die Museen. Wenn Familie und Beruf so ineinander verschwimmen, kann man dann abends abschalten?
M: Es gelingt nicht immer, aber immer besser. Erfahrung und Praxis machen einen mit der Zeit ja auch lockerer. Was für mich schwieriger war, waren die hohen Erwartungen, die ich mir selber auferlegte. Wir sind alle so davon geprägt, das Beste geben zu wollen, dass ich in einen Perfektionismus reingerutscht bin, der im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr gesund war. Ich musste erst einen entspannteren Umgang mit der Arbeit finden. Dieser Entwicklungsprozess war nicht immer ganz einfach, aber rückblickend wichtig. Jeder Mensch hat Grenzen und jeder Mensch hat andere Grenzen. 
S: Seit wir an den Filmprojekten arbeiten, fällt mir das Abschalten schon schwer. Beruf und Privatleben verschmelzen noch zu sehr. Durch das Klettern finde ich einen Ausgleich, vielleicht ist es manchmal sogar eine Flucht. Das Klettern zwingt dich, im Hier und Jetzt zu sein.

Ihr seid abwechselnd in Meran und auf Juval aufgewachsen. Wie wichtig ist der Ort Juval für euch?
S: Juval ist unser Zuhause, auch der Mittelpunkt der Familie, für jeden von uns. 
M: Absolut. So viele Erfahrungen und Kindheitserinnerungen hängen an diesem Ort. Er löst einfach ein wohliges Gefühl in mir aus. Wir hatten eine so unbeschwerte Kindheit und Sommerzeit. Wir verbrachten den ganzen Tag draußen, mussten nur zum Essen pünktlich daheim sein oder wenn eine Arbeit zu erledigen war. Ansonsten waren wir frei.
Schloss Juval ist gefüllt mit Kunst und antiken Stücken. War der Umgang damit eher locker oder hieß es dann auch mal: „Fasst das nicht an!“? 
S: Nein, unser Vater war sehr locker, eher die Mutter hat manchmal nachgeschaut. Aber wir hatten einen natürlichen Umgang damit, warum sollten wir was umschmeißen oder mit dreckigen Schuhen über die Teppiche laufen? 
M: Problematischer waren bestimmte dunkle Orte im Schloss, wo die Fantasie manchmal mit einem durchging (lacht). Es gibt ja genug Geistergeschichten über Juval.

Viele Gäste sind irritiert, dass Schloss Juval im Juli und August geschlossen ist. Wird sich daran in Zukunft etwas ändern oder bleibt ihr eisern bei dieser Schließungszeit?
M: Das ist ein schwieriges Thema. Uns ist bewusst, dass wir es nicht mehr zurücknehmen können, wenn wir die Sommeröffnung einmal zulassen. Vielleicht wäre es im Moment okay, aber wer weiß, wie es in fünf Jahren sein könnte, ob nicht jemand aus der Familie das Schloss dann im Sommer wieder intensiv nutzen möchte. 
S: Dem Schloss tut es ehrlich gesagt gut, dass es die zwei Monate geschlossen ist, der Besuch nimmt ein altes Gemäuer ja auch mit. Juval ist halt nicht nur ein Museum, sondern hier leben auch Menschen, die einen Alltag haben. So passiert es im Sommer manchmal, dass mich Touristen am Schloss ansprechen und fragen, ob ich den Reinhold Messner schon mal gesehen hätte – er solle ja hier leben (lacht). Juval hat ein persönliches Flair, nicht nur für uns.
(Anmerkung: Für 2020 ist eine August-Öffnung von Juval geplant)

Das Thema auf Juval ist „Mythos Berg“, die Berge als Orte der Götter. Jetzt gilt euer Vater nicht unbedingt als fromm. Spielte das Thema Religion eine Rolle in eurer Kindheit?
M: Wir hatten einen sehr offenen Umgang. Es wurde viel darüber gesprochen und erklärt, gleichzeitig haben unsere Eltern uns auch in diesem Bereich alle Freiheiten gelassen. 
S: Reinholds Credo ist sowieso, dass jeder frei ist und machen soll, was er will und für richtig hält. 
M: Er ist ja auch nicht Atheist, sondern sagt von sich, er ist Possibilist, das heißt alles ist möglich, nichts ist gewiss. Ich kann mit dieser Aussage auch viel anfangen. Ich bin getauft und natürlich sind wir von der abendländischen Kultur geprägt, es ist ja unser Kulturkreis, aber für Religion als solches bin ich zu rational. 
Generell habe ich bei diesem Gespräch den Eindruck bekommen, dass Meinung bilden, hinterfragen, sich Gedanken machen ein großes Thema für euch ist.
M: Das ist das, was wir – egal ob Simon mit dem Film oder ich mit den Museen – erreichen wollen. Wir wollen nicht belehren, sondern zum Nachdenken anregen, vielleicht eine andere Sichtweise präsentieren. Das wird z. B. beim Thema Bergvölker deutlich: Viele Museumsbesucher sind am Ende überrascht, dass es trotz der unterschiedlichen Kulturkreise am Ende mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede gibt.

Welche Pläne und Projekte stehen bei euch in nächster Zeit an?
S: Die Pläne und Ideen gehen uns sicher nicht aus (lacht). In unmittelbarer Zukunft stehen das Klettern und die Filmprojekte im Mittelpunkt. Zum Beispiel will ich im Sommer unsere neuen Filme in Südtirol zeigen. Mittelfristig habe ich den Plan, die landwirtschaftlichen Betriebe der Familie zu übernehmen oder, vielleicht besser gesagt, zu verwalten. Die Höfe sollen dann noch mehr ineinander verzahnt werden, das wäre mir ein großes Anliegen. 
M: Langfristig haben wir Ideen, alle Bereiche noch mehr zusammenzuführen, seien es die Museen als auch die landwirtschaftlichen Betriebe und andere Angebote. Das ist aber noch weit weg. Meine kommenden Jahre sind sicher davon geprägt, dass sich privat einige Veränderungen ankündigen. Beruflich werde ich neue Veranstaltungsformate erarbeiten, die auch nicht mehr so konkret mit der Person meines Vaters oder mir gekoppelt sein werden. Erste Events werden wir bereits heuer präsentieren, wie ein Freilichttheater auf Schloss Sigmundskron im Juni oder das Mountain Music Festival im Ripa Bruneck im August. Mein Ziel ist einfach ein neuer Wind und wieder einige Schritte weiter nach vorne. Langweilig wirds nicht. 

Magdalena Messner

Geboren 1988 // Ausbildung Studium der Wirtschaft und Kunstgeschichte in Wien und Rom // Beruf Geschäftsführerin der Messner Mountain Museen 
Chancen muss man am Schopf packen: Obwohl Magdalena nach dem Abschluss des Doppelstudiums eine einjährige Pause geplant hatte, kam ausgerechnet da vom Vater das Angebot, das Museum Corones mitzugestalten. Nach langer Überlegung stieg sie in das Projekt ein – und hat mittlerweile in den MMM ihre Lebensaufgabe gefunden. Tippte sie mit 14 Jahren noch die handgeschriebenen Manuskripte ihres Vaters ab, schreibt sie mittlerweile auch selber und publizierte bisher drei Bücher über die Museen und ihren Vater als Bergbauer und kulturellen Selbstversorger.

Simon Messner

Geboren 1990 // Ausbildung Studium der Molekularbiologie in Innsbruck // Beruf Alpinist und Filmemacher 
Ein junger Mann mit vielen Talenten: Matura an der Landwirtschaftlichen Fachschule, Studium der Molekularbiologie in Innsbruck, merkte dann aber während der Laborarbeit, dass er doch ein Draußenlebemensch ist. Beendete also schnell seine Abschlussarbeit im Bereich der Epigenetik und widmet sich seitdem erfolgreich dem Alpinismus (u.a. zahlreiche Erstbegehungen in den Alpen, in Jordanien und im Oman) und gemeinsam mit seinem Vater dem Filmemachen. Erzählt am liebsten wahre Geschichten darüber, was Berge und Wildnis mit den Menschen machen, die sich in sie hineinwagen. 
 

Interview: Petra Götsch 
Photos: Maria Gapp 

Das Interview wurde bereits 2019 geführt.
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📸: IDM Südirol/Marion Lafogler

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