Waldbaden: Mehr als bloß Bäume umarmen?

Waldbaden: Mehr als bloß Bäume umarmen?

Ein Interview mit Bewegungstrainerin Evi mit fünf einfachen Übungen und einem Selbsttest

Gleich vorneweg: JA! in Großbuchstaben und mit Rufezeichen, Waldbaden ist gesund. Der Wald ist nicht nur CO²-Schlucker und Sauerstofffabrik, sondern nachweislich gut für unsere individuelle Gesundheit und zum Auftanken neuer Energie. Und dazu brauchen wir weder Bikini noch Badehose, sondern im Grunde nur eines: Zeit.

Und diese Zeit sollte es uns wert sein, meint die Bewegungstrainerin Evi Kerschbaumer. Sie beschäftigt sich schon lange mit dem Thema und hat sich einen Nachmittag lang Zeit genommen, um mit mir über das Thema zu sprechen. Für unser Interview haben wir uns in Hafling getroffen und machen einen kleinen Waldspaziergang. Nach wenigen Schritten sind wir bereits eingetaucht in das Grün, das nicht einfach nur grün ist, sondern in allen Nuancen schimmert: von ganz dunkel an schattigen Stellen bis leuchtend hell dort, wo die Sonne ihren Weg durch die lichten Buchenbestände findet.
 
In Verbindung mit der Natur sein
Und damit sind wir schon mitten im Thema: „Beim Waldbaden konzentrieren wir uns voll auf unsere Sinne und sind somit im Hier und Jetzt. Es geht darum, den Wald zu sehen, zu hören, zu fühlen, zu riechen und zu schmecken. Wir lassen unsere Gedankenwelt ruhen und verbinden uns mit der Natur“, erklärt Evi. „Das Erkennen der verschiedenen Grüntöne kann ein erster Schritt sein. Du hast deinen Sehsinn geöffnet und darüber gestaunt, wie ‚bunt‘ das Grün des Waldes eigentlich ist – und das ist erst der optische, also erst einmal nur ein oberflächlicher Eindruck. Die Farbe Grün hat noch viel mehr drauf und wirkt z.B. entspannend und regenerierend.“

Darum also ist im Wald sein gesund?
Grün ist also das Geheimnis des Waldbadens? „Grün ist als beruhigendes Element ein Teil davon, aber nicht nur“, sagt Evi. Klar, denke ich, ein Waldspaziergang beruhigt, aber das tut ein Spaziergang entlang einer Pferdekoppel mit grasenden Tieren auch. Stichwort Entschleunigung und so… Ich möchte es deshalb genauer wissen und frage Evi, was der Wald anders macht als eine Wiese. „Der Wald tut gut, egal ob du bewusst mit allen Sinnen in die Waldatmosphäre eintauchst oder von A nach B durch den Wald läufst. Du atmest den würzigen Waldduft ein und bist umgeben von den bereits angesprochenen regenerierenden Grüntönen.“ Ich erfahre staunend, dass dies bereits durch wissenschaftliche Studien belegt ist.
 
Das sagt die Wissenschaft dazu
„Die Waldmedizin beruft sich auf die gesundheitlichen Wirkungen ätherischer Öle in der Luft der Wälder. Diese Stoffgemische stärken dein Immunsystem und regen dadurch die Selbstheilung an. Terpene bringen deinen Körper zur Produktion von Abwehrzellen. Deshalb können Waldspaziergänge sogar Krankheiten vorbeugen. Einige Terpene unterstützen die Aktivierung von Anti-Tumor-Proteinen, andere senken Stresshormone und stärken das Immunsystem,“ erläutert Evi. „Die Wirkung kannst du aber auch ganz bewusst an dir selbst testen.“ Sie drückt mir einen Zettel in die Hand und ich sehe fünf Fragen. „Mit diesem Selbsttest kannst du dein subjektives Empfinden vor und nach dem Waldbaden festhalten. Indem du es für dich aufschreibst, holst du es dir ins Bewusstsein. Du wirst staunen, was dabei herauskommt“, sagt Evi etwas verschmitzt. Die fünf Fragen gibt es übrigens hier zum Download.

Anhaltende Wirkung oder aus den Augen aus dem Sinn?
Ich möchte nun wissen, ob die Wirkung des Waldes auf meinen Körper aufhört, sobald ich den Wald verlasse. Schließlich hat nicht jeder einen Wald vor der Haustür und kann schnell mal eine Dosis Grün und Waldduft abholen. Evi beruhigt mich sogleich: „Ein einziger Tag Waldbaden steigert die Zahl der Abwehrzellen im Blut für sieben Tage um rund 40 Prozent. Und wer sich zwei bis drei Tage in der Natur aufhält, stärkt seine Abwehrkräfte für bis zu 30 Tage.“

Mit gezielten Übungen die Wirkung steigern
Reicht der reine Aufenthalt im Wald also, diesen Gesundheitseffekt zu erzielen oder muss ich etwas dafür tun? Etwas skeptisch bin ich schon, da ich kaum glauben kann, so viel Gutes zu erhalten, ohne einen Finger dafür zu krümmen. „Die Natur verschenkt ihre Energie, ohne auch nur die geringste Gegenleistung zu verlangen“, lächelt Evi. „Schau mal, sie versorgt uns z.B. mit Essbarem an jeder Ecke“, sagt es, pflückt einen Sauerklee und verzehrt ihn genüsslich. Auch ich koste zögernd und bin erstaunt über das erfrischende Aroma. Dann zeigt sie auf einige Walderdbeeren und ich verstehe: Ja, die Natur gibt so viel, wir brauchen eigentlich nur zugreifen. „Gemünzt auf das Waldbaden bedeutet das, dass bereits der reine Aufenthalt im Wald eine positive Wirkung auf uns hat. Gezielte Übungen helfen dir jedoch, eine Beziehung/Verbindung zur Kraftquelle Wald aufzubauen,“ ergänzt Evi.

Waldbaden also besser mit Anleitung?
Ich frage Evi, mit welchen Übungen ich mein Ziel am besten erreichen kann. „Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Methoden und Übungen, mit welchen du dich mit der Natur/dem Wald und mit dir selbst Köper/Geist/Seele verbinden kannst. Mit einer erfahrenen Begleitung kannst du diese Möglichkeiten kennenlernen und diese Verbindung erfahren. Dann kannst du selbstverständlich das herauspicken, was für dich stimmig ist, und bei deinen zukünftigen Waldspaziergängen einbauen.“

Woher kommt eigentlich Waldbaden?
Nun möchte ich noch wissen, wer’s erfunden hat und bitte Evi um einen kurzen historischen Rückblick. „Waldbaden oder Shinrin Yoku ist eine aus Japan stammende naturbezogene Methode, die in den 1980er Jahren entstanden ist. Ziel der Übungen ist es, sich in der Natur zu entspannen und entschleunigen sowie neue Lebensenergie zu tanken.“ Verwundert frage ich nach, ob Waldbaden wirklich gerade mal 40 Jahre alt ist. Das Konzept an sich mutet sehr nach Naturreligionen an. Um ehrlich zu sein, hatte ich eher an die waldverbundenen Kelten oder so gedacht. „Nein,“ schmunzelt Evi, „das Waldbaden kommt aus Japan und wird dort bereits als anerkanntes Heilmittel staatlich gefördert.“

Fazit: Waldbaden ist also mehr als Wellness

Waldbaden ist also mehr als Wellness? „Ja, der Aufenthalt und die Übungen im Wald senken nachgewiesenermaßen den Cortisol- und Adrenalinspiegel, der Pulsschlag normalisiert sich und der Blutdruck kann signifikant sinken. Die Stimmung hebt sich, der Schlaf wird tiefer und geruhsamer und die Anzahl und Aktivität der natürlichen Killerzellen im Körper steigt.“ Ich bin beeindruckt. Nun aber genug der Theorie. Ich bitte Evi, zum praktischen Teil überzugehen. Gemeinsam machen wir die folgenden fünf Übungen.
 
Einige einfache Übungen zum Starten:

1. Schüttle deinen Körper, öffne all deine Türen und Fenster (Sinne: Augen, Nase, Ohren, Haut, Mund)
2. AUGEN AUF! Jetzt geh für einige Zeit mit klarem Fokus auf den Sehsinn, ganz bewusst konzentrierst schaust du, du nimmst Farben, Formen, Lichter, Schattierungen wahr, siehst Details.
3. OHREN AUF! Bleib nun stehen, schließ deine Augen und nimm die Geräusche wahr; Vogelgezwitscher, das Rascheln der Blätter im Wind, Wasserrauschen,…
4. FÜHLEN und RIECHEN! Geh wieder weiter und entdecke dein Umfeld mit deinen Händen und deiner Nase, berühr das weiche Moos und riech daran, die harzige Rinde, Walderde, …
5. Lass dich jetzt treiben, genieße deine entspannte Atmung und einfach nur das Sein ohne etwas zu müssen. Schenk dir ein Lächeln :)

Ich werfe einen Blick auf den Zettel mit den fünf Fragen und zwinkere Evi zu. Das Ergebnis behalte ich für mich, aber so viel sei an alle da draußen gesagt: ab in den Wald!
…und: Danke Evi!

Evi Kerschbaumer ist Sportwissenschaftlerin und Bewegungstrainerin und wöchentlich von April bis Oktober in Hafling unterwegs. Sie hilft Interessierten mit ihrer sympathischen und unaufdringlichen Art dabei, ihre Sinne für den Wald zu öffnen, die Energiequelle Wald kennenzulernen und für sich zu nutzen.

Experiment im Selbsttest: ist der Effekt Waldbaden auch für Laien messbar?

Die fünf Fragen zum Befinden vor und nach dem Waldbaden.
Hier geht’s zum Fragebogen.
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