100 Jahre Seilbahn Meran - Hafling 100 Jahre Seilbahn Meran - Hafling

100 Jahre Seilbahn Meran - Hafling

Vor genau 100 Jahren – im Oktober 1923 – wurde die Seilbahn Meran/Obermais - Hafling/St. Kathrein in Betrieb genommen. In ihren 61 Betriebsjahren hat sie mehr bewirkt, als es auf den ersten Blick erscheint, denn obwohl heute nur noch wenig an die Anlage erinnert, war der Bau dieser Seilbahn eine bahnbrechende technische Pionierleistung. Drei Viertel aller Seilbahnen weltweit greifen heute noch auf dieses weltweit erstmals hier angewandte Prinzip von Ing. Luis Zuegg zurück. Für die Ortschaft Hafling brachte die neue, schnelle Anbindung an das Tal einen wirtschaftlichen Aufschwung und die Initialzündung für den Tourismus.

Südtirol war vor 100 Jahren bereits weit über Südtirol hinaus ein Begriff für Erholung Suchende, Meran längst als Kurstadt für wohlhabendes Publikum etabliert. Bergdörfer wie Hafling waren jedoch nach wie vor nur über beschwerliche Fußwege erreichbar und somit vom Glanz, den die edlen Kurgäste im Tal verbreiteten, ausgeschlossen. Dies änderte sich innerhalb relativ kurzer Zeit nicht nur in Hafling, sondern im gesamten Alpenraum durch den Bau von Seilbahnen. Die Haflinger Seilbahn stand ganz am Anfang einer unvergleichlichen Erfolgsgeschichte.


Eine kurze Geschichte des Seilbahnwesens
Um zu verstehen, warum die Haflinger Seilbahn eine zentrale Rolle in der Geschichte des Seilbahnwesens spielt, wollen wir einen Blick zurückwerfen. Die Geschichte der Aufstiegsanlagen in Südtirol beginnt im Jahre 1903 mit der ersten Standseilbahn von Kaltern zum Mendelpass im Etschtal. Die erste, für den öffentlichen Betrieb zugelassene und nach dem herkömmlichen System (ein Tragseil und Zugseil) gebaute, Schwebebahn der Welt ist die Seilbahn von Bozen nach Kohlern, die 1908 errichtet wurde. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es in Europa schon andere Seilbahnen gab, wie die in San Sebastian in Spanien oder den Wetterhornaufzug in der Schweiz oder jene, die für die Messe in Mailand gebaut wurde. Sie alle haben Personen befördert, wurden jedoch nicht nach dem heutigen System gebaut. Genau hier kommt Ing. Luis Zuegg ins Spiel, der die Seilbahn von Meran nach Hafling geplant hat und erbauen ließ.

Was war neu bei der Haflinger Seilbahn?
Zuegg hatte während des Ersten Weltkrieges technische Erkenntnisse als Erbauer zahlreicher Seilbahnen sammeln können. Diese wurden beim Bau der Haflingerbahn das erste Mal für den Personentransport eingesetzt. Seine Haupterfindung, die Straffung der Seile, wurde zunächst auf experimentelle Weise bestätigt und mit der Haflinger Seilbahn erstmals offiziell umgesetzt. Sie wurde somit zum Maßstab für die Entwicklung der Personenschwebebahnen: Drei Viertel aller Bahnen weltweit gehen heute noch auf das sog. „System Bleichert-Zuegg“ zurück, und bis heute hat sich an dieser Technik grundsätzlich nichts geändert. Zueggs Grundsatz „Einfachheit als oberste Garantie für Sicherheit“ hat sich über Jahrzehnte bewährt. Er hat den Bau der Zweiseilpendelbahnen weltweit revolutioniert: neben der Reduzierung des Sicherheitsgrades der Tragseile von 10 auf 3,5 waren auch die Tragseilbremse und die Telefonie absolute Neuheiten. Diese drei Erfindungen sind für die wirtschaftliche und technische Entwicklung der Seilbahnen in der gesamten Welt wichtig. Für Interessierte haben wir die technischen Details dieser drei Neuerungen am Ende dieses Textes hinzugefügt 😉.

Was bedeutete Zueggs Pionierleistung in der Praxis?
Die Musterseilbahn Meran - Hafling stellte somit eine technische Pionierleistung dar. Die bahnbrechenden Ideen von Ing. Luis Zuegg ließen eine höhere zulässige Fahrtgeschwindigkeit zu. Die Beförderungssicherheit und die Lebensdauer der Tragseile wurden entscheidend erhöht, größere Stützenweiten senkten die Bau- und Instandhaltungskosten signifikant. Sowohl die Betriebssicherheit als auch die Wirtschaftlichkeit von Seilschwebebahnen erfuhren somit einen Quantensprung. Die Musterseilbahn fand nicht nur bei Touristen und Einheimischen großen Anklang, sondern erregte besonders in Fachkreisen großes Interesse. Nach dem Modell der Haflinger Seilbahn wurden bald ähnliche Bahnen im gesamten Alpenraum gebaut, so auch im Nachbardorf Vöran nach Burgstall, die 2023 ihr 65-jähriges Bestehen feierte.

Erste offizielle Fahrt am 30. Oktober 1923
„Nach langem Harren und Hoffen“ – so schreibt die Tageszeitung Dolomiten am 7. November 1923 – „konnte die neue Seilbahn in Betrieb genommen werden.“ Das Konzessionsdekret wurde bereits am 15. Oktober 1923 unterzeichnet, die Betriebsbewilligung wurde am 25. Oktober zugestellt. Somit stand der Inbetriebnahme der Seilbahn mit der größten Spannweite der Welt nichts mehr im Weg. Die Stadt Meran hat einen Busdienst vom Zentrum zur Talstation eingerichtet, damit die Gäste bequem ihr Ziel erreichen können. Bereits am 30. Oktober berichtet die Meraner Zeitung, dass für den Winter eine rege Bautätigkeit auf dem Haflinger Plateau und Piffing abzusehen ist, vor allem Skihütten sollten gebaut werden. Somit war die Seilbahn der Wegbereiter des wirtschaftlichen Aufschwungs des Hochplateaus, der Entwicklung des Tourismus und schlussendlich auch der Entstehung des Skigebiets Meran 2000.

Die Haflingerstunde
Abgesehen von den technischen Neuerungen war die Seilbahn vor allem eine große Erleichterung für die Bevölkerung von Hafling. Besorgungen in der Stadt Meran waren vorher ein Ganztags-Unterfangen, verbunden mit einem beschwerlichen Ab- und Aufstieg. Nun konnten die knapp 1.000 Höhenmeter in sage und schreibe elf Minuten überwunden werden, eine Annehmlichkeit, die die Haflinger auch gern in Anspruch nahmen, wenn denn die hohen Ticketpreise nicht gewesen wären. Eine Berg- und Talfahrt kostete 5 Lire, was im Vergleich zum damaligen Verdienst (7-8 Lire für eine Tagschicht) ein Vermögen war. Hier zeigte sich der Betreiber aber sehr entgegenkommend und führte die Haflingerstunde ein: um 8:00, 12:00, 14:00 und 17:00 Uhr konnten die Haflinger die Seilbahn zu einem stark vergünstigten Preis benutzen.

Sonderfahrten für Geschäftsleute am Samstagabend
Für die Meraner Geschäftsleute, die seit den 30er Jahren auch im Winter die Wochenenden in ihren Ferienhäusern in Hafling und Meran 2000 zum Skifahren verbrachten, gab es jeden Samstagabend um 20:30 Uhr eine Sonderfahrt. So konnten sie nach Ladenschluss noch ihr Ferienhaus erreichen und den Sonntag bereits ab den frühen Morgenstunden genießen.

Mit der Eröffnung der Seilbahn fand auch der Wintersport Einzug ins Gebiet. Bis dahin war der Schneespaß nur den fittesten vorbehalten. Die Skiläufer:innen mussten schließlich von Meran zu Fuß bis Hafling und – je nach Ziel – weiter auf das Naifjoch, von dort auf den Kesselberg, Mittager oder Kuhleiten, bevor sie die rasante Abfahrt antraten. Die Seilbahn kürzte den mühsamen Aufstieg wesentlich ab, vor allem, seit die Wintersportler:innen von der Bergstation in St. Kathrein auf einer Straße nach Falzeben gebracht werden konnten.

Die Straße läuft der Seilbahn den Rang ab
Die Seilbahn war bis zum Bau einer Straße auf das Haflinger Hochplateau in den frühen 80er Jahren das einzige technische Verkehrsmittel, das Hafling/St. Kathrein mit Meran/Obermais verband. Deshalb wurde sie von Einheimischen, Pendlern und Touristen gleichermaßen genutzt. Erst die Zufahrtsstraße von Meran nach Hafling schmälerte die Attraktivität der Bahn und führte schlussendlich 1984 zur Schließung der Linie. Schade eigentlich.


Quellen:
https://www.provinz.bz.it/tourismus-mobilitaet/mobilitaet/seilbahnen/geschichte-der-seilbahnen.asp
http://www.tecneum.eu/index.php?option=com_tecneum&task=object&id=301
Verschiedene Tageszeitungen aus dem digitalisierten Bestand der Landesbibliothek D. Friedrich Tessmann digital.tessmann.it


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Technische Neuheiten von Ing. Luis Zuegg beim Bau der Seilbahn Meran-Hafling
Reduzierung des Sicherheitsgrades:
Zuegg war im ersten Weltkrieg mit dem Bau von Kriegseilbahnen beauftragt, deren es ja unzählige zu den Frontabschnitten gab. (Man sieht ja noch heute Überreste dieser Bahnen in den Dolomiten). Nun hatte er wieder einmal einen Auftrag auf der Hochfläche von Lavarone eine Materialseilbahn in das Gebiet des Monte Rovere zu bauen. Es war für den Bau und die Montage alles vorgesehen und zum Schrecken des Ing. Zuegg musste er plötzlich feststellen, dass das gelieferte Tragseil um ca. 200 m zu kurz war. Die rechtzeitige Fertigstellung der Bahn war in Frage gestellt, jedoch war höchste Eile geboten, weil sie für eine Offensive dringend gebraucht wurde. Guter Rat war teuer. Nun schlug Zuegg unter Umgehung aller damals geltenden gesetzlichen Bestimmungen aber auch der bestehenden Regeln der Technik vor, das Tragseil mehr zu spannen und so die „Seilsäcke“ bzw. Durchhänge zu reduzieren und so wird die benötigte Seillänge reduziert. Dieser Vorschlag wurde auf Grund, dass die Anlage ja dringend gebraucht wurde, angenommen. Zuegg stellte dann mit der Zeit fest, dass dieses Tragseil viel weniger Drahtbrüche aufgewiesen hatte als die Tragseile anderer Bahnen. Zuegg stellte dann mit Berechnungen weiteres fest, dass durch größere Straffung des Seiles dieses viel weniger gebogen wurde, was eine längere Lebensdauer bewirkte.

Tragseilbremse:

Zueggs zweite wichtige Erfindung ist die automatische Tragseilbremse, die in jedem Laufwerk der Kabinen eingebaut ist und bei einem Zugseilriss automatisch ausgelöst wird. Diese Bremsen schließen sich direkt am Tragseil. Gab es früher ein eigenes Bremsseil neben dem Tragseil, so konnte man auf dieses nun verzichten. In Italien und in Deutschland werden diese Bremsen über die Sicherheitsanalyse vorgeschrieben. Zahlreiche Menschenleben konnten durch diese Erfindung bereits gerettet werden.

Telefonie:
Bei den bisherigen Pendelbahnen wurde das so genannte „Fioretto“, ein unhandlicher langer Stab, verwendet, mit dem der Wagenbegleiter mit dem eigens längs der Trasse angebrachtem Telefonseil Kontakt machen musste, um dann so die notwendigen Signale wie z.B. für die Stillsetzung der Anlage an die Antriebsstation übermitteln zu können. Zuegg isolierte das Zugseil vom Tragseil, was damals technisch nicht einfach war, und konnte somit das Zugseil für die Signalübermittlung von den Kabinen zu den Stationen verwenden und damit das Telefonseil eliminieren. Auch diese Technik wird heute bei allen Seilbahnen verwendet.

Tourismusverein Hafling-Vöran-Meran 2000 | 19.10.2023
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